Kaiser-Wilhelmsland, Iltisberge und Swakopmund. Kolonialrevisionismus auf Notgeldscheinen (Teil 2)

04.04.2023 Niklas Regenbrecht

Christiane Cantauw

Am 24. März 2023 wurden an dieser Stelle sechs Serienscheine vorgestellt, die mit den Konterfeis von aus kolonialen Kontexten bekannten Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Kultur für die Rückgewinnung der überseeischen Kolonien warben. In dem „Notgeldalbum“ von Herrn N. befinden sich zwei weitere Serien mit kolonialem Bezug, die in diesem und einem weiteren Beitrag vorgestellt werden sollen.

Diese sechs Serienscheine wurden 1922 anlässlich des Deutsch-Hanseatischen Kolonialgedenktages herausgegeben. (Foto: Kommission Alltagskulturforschung)

Die sechs Serienscheine, um die es im Folgenden gehen soll, wurden ebenso wie die vor einigen Wochen vorgestellte Serie anlässlich des Deutsch-Hanseatischen Kolonialgedenktages herausgegeben. Ablauftermin für die Gültigkeit der vorliegenden Kolonial-Gutscheine sollte der 31. März 1922 sein. An diesem Termin endeten die verschiedenen Veranstaltungen, die unter dem Label „Deutsch-Hanseatischer Kolonialgedenktag“ um die Gunst des Publikums im Raum Hamburg-Bremen warben. Organisiert wurde das alles von den Ortsgruppen des 1882 gegründeten Deutschen Kolonialvereins.

Die gleichartig gestaltete Vorderseite aller sechs Serienscheine, deren Nennwert 75 Pfennig ist, zeigt im oberen Drittel eine Palme vor einer hinter dem Meer aufgehenden Sonne. Dominierende Farben sind blau (Meer und Beschriftung) und gelb (Sonne). Um die Sonne herum sind die Jahreszahlen 1682, 1884 und 1918 angeordnet.

Mit der Jahreszahl 1682 knüpfte man an die Gründung der Brandenburgisch-Afrikanischen Compagnie (BAC) durch Friedrich Wilhelm (1620 – 1688), Kurfürst von Brandenburg und Herzog von Preußen, an. Durch den Bau der Festung Groß Friedrichsburg (1683) an der Küste des heutigen Ghana und die Inbesitznahme der Atlantikinsel Arquin vor der Küste Mauretaniens (1685) schuf die BAC Stützpunkte vorrangig für den Sklavenhandel. Von dort wurden bis zum Verkauf der westafrikanischen Kolonien durch Friedrich Wilhelm I (1688 – 1740), König von Preußen und Kurfürst von Brandenburg, Ende 1717 und ihrer faktischen Abgabe 1721/1724 tausende afrikanische Männer, Frauen und Kinder verschleppt und über den Stützpunkt St. Thomas in der Karibik dem amerikanischen Sklavenmarkt zugeführt.

Die Jahreszahl 1884 sollte an die vom 15. November 1884 bis zum 26. Februar 1885 in Berlin veranstaltete Kongokonferenz erinnern. Auf Einladung des deutschen Reichskanzlers Otto von Bismarck (1815 – 1898) waren Vertreter europäischer Staaten, des Osmanischen Reiches und der USA in Berlin zusammengekommen, um ihre Interessen und Einflusssphären in Afrika gegeneinander abzugleichen. Afrikaner waren bei dieser Konferenz nicht eingeladen. Die Kongokonferenz versinnbildlicht einen Politikwechsel in Deutschland, mit dem ein aktives Streben nach kolonialem Besitz verbunden war.

Mit der Jahreszahl 1918 wird schließlich auf die Aufgabe der deutschen Kolonien angespielt, die im Versailler Vertrag 1919 dann offiziell besiegelt wurde.

Über die drei Jahreszahlen stellen die Serienscheine eine fast 250jährige Tradition her, die allein durch ihre Dauer Legitimation suggerieren sollte. Die Idee dahinter war einfach: Angesichts der jahrhundertealten Erfahrung mit Kolonien musste der Deutschland im Versailler Vertrag abverlangte Verzicht als ein Versehen wirken, das sich sicherlich wieder korrigieren lassen würde.

Die aufgehende Sonne mag als Anspielung an eine Rede des damaligen Staatssekretärs des Auswärtigen Amtes und späteren Reichskanzlers Bernhard von Bülow (1849 – 1929) interpretiert werden, der das Weltmachtstreben des Deutschen Kaiserreichs in einer Reichstagsdebatte am 6. Dezember 1897 folgendermaßen auf den Punkt gebracht hatte: „Mit einem Worte: wir wollen niemand in den Schatten stellen, aber wir verlangen auch unseren Platz an der Sonne.“

Grafisch vereinen sich in der Zeichnung ein Kreis und ein gleichschenkeliges Dreieck, zwei zentrale christliche Symbole. Der geschlossene Kreis als Zeichen der Überzeitlichkeit, des ewig Währenden, trifft auf ein nach unten ausgerichtetes Dreieck, das die göttlichen Kräfte auf das Irdische lenkt. Das Dreieck ist mit seiner Spitze zwischen zwei Kreise mit den Stadtwappen von Hamburg und Bremen platziert. Sie erscheinen in diesem Zusammenhang als Ausgangspunkte eines wiedererstarkenden deutschen Kolonialismus, der an eine jahrhundertealte (hanseatische) Tradition anknüpft und aus dieser seine Berechtigung erfährt.

Ansichten der deutschen Kolonien auf den Rückseiten der Serienscheine. (Foto: Kommission Alltagskulturforschung)
"Kaiser-Wilhelmsland", wie der nordöstliche Teil von Neuguinea von den deutschen Kolonisatoren genannt wurde, wird auf diesem Serienschein als Idylle mit üppiger Fauna dargestellt. (Foto: Kommission Alltagskulturforschung)

Verso zeigen die sechs Serienscheine jeweils Ansichten der deutschen Kolonien, angefangen von „Deutsch-Ostafrika“ über Kamerun, „Deutsch-Südwestafrika“, Togo und die „Deutschen Südsee-Inseln“ bis hin zu „Kiautschau“. Gezeigt werden beispielsweise die „Iltisberge“ im chinesischen Pachtgebiet Kiautschau, ein „Dorf bei Missahohe“ in Togo oder die Stadt Viktoria mit dahinter aufragendem Kamerunberg. Alle Abbildungen sind in grün, braun und gelb gehalten. Sie präsentieren exotische Pflanzen und Fortbewegungsmittel (einfache Boote), Menschen, die aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihrer Kleidung als Einheimische und Kolonisatoren kategorisiert werden sollen, koloniale Architektur und lokale Bauten. Die Kolonien erscheinen hier exotisch, friedlich, paradiesisch und gleichzeitig wohlgeordnet.          

Um die Bilder wurde ein Rahmen gezogen, was sie wie Ansichtskarten wirken lässt und dem Dargestellten eine authentische Note verleiht. Die geografische Zuweisung (beispielsweise Togo) und die Spezifikation des Gezeigten (beispielsweise „Dorf bei Misahohe“) sind in den Rahmen integriert.

Serienscheine wie diese boten der kolonialrevisionistischen Bewegung eine Möglichkeit, ihr Anliegen mit massenhaft produzierten, von vielen Deutschen gesammelten und teils bis heute aufbewahrten Bildern zu verknüpfen. Dazu wurde das Bildprogramm auf der Vorder- und Rückseite der Serienscheine klug ausgewählt. Es sollte die Rückgewinnung der Kolonien als historisch legitimiert und als eine für alle Seiten sinnvolle Folge aus der bislang geleisteten Arbeit plausibilisieren. Dazu bedurfte es neben wenigen Worten vor allem eines Bildprogramms, das bei den Betrachtern und Betrachterinnen positiv besetzt war und an gesellschaftliche anerkannte Werte anknüpfte.

 

Fortsetzung folgt...