Abiturrituale – eine Ausstellung in DAS Forum der Draiflessen Collection in Mettingen

14.01.2022 Niklas Regenbrecht

Einblick in die Ausstellung, © Draiflessen Collection, Foto: Henning Rogge, 2021.

Kai Bosecker

Das Abitur markiert nicht nur den Abschluss der höheren Schullaufbahn, sondern auch den Eintritt in das Erwachsenenleben. Das Erlangen der Hochschulreife wurde von den Abiturienten deshalb bereits im 18. Jahrhundert besonders gefeiert. Ritualisierte und an studentischen Bräuchen orientierte Festveranstaltungen wie der Kommers genannte Umtrunk und das Singen von Studentenliedern gehörten bis in die 1960er-Jahre fest zum Ablauf von Abiturfeiern an vielen Gymnasien in Deutschland. Angelehnt an akademische Verbindungen wählten sich Abiturienten, später auch Abiturientinnen, eigene Farben. Sie trugen diese bei den Abiturfeierlichkeiten als Band und Mütze, oft mit einem monogrammartigen Erkennungszeichen, dem sogenannten Zirkel, bestickt. So zeigten sie nach außen ihre Verbundenheit und wiesen zugleich auf ihren bald neuen Status als Student*in hin. Auch der Abiturient Arnold Ludger Brenninkmeijer, der in den 1920er-Jahren die Leitung der C&A-Hauptverwaltung in Amsterdam übernahm, hat zu seinem Schulabschluss an der Oberrealschule in Münster im Jahr 1914 ein solches Outfit getragen. Ein Foto, das in der Draiflessen Collection überliefert ist, zeigt ihn im Kreis seiner Mitabiturienten.

Einblick in die Ausstellung, © Draiflessen Collection, Foto: Henning Rogge, 2021.

Die Draiflessen Collection in Mettingen ist ein 2009 von der Unternehmerfamilie Brenninkmeijer (C&A) gegründetes Kunstmuseum, das auch ein umfangreiches Archiv und eine Sammlung zur Unternehmens- und Familiengeschichte beherbergt. Vor nunmehr fünf Jahren, im Jahr 2017, wurde die Mütze, die Arnold Ludger auf dem Foto trägt, an die Draiflessen Collection abgegeben. Doch nicht nur diese: Auch eine Schärpe und ein sogenanntes Cerevis, eine aufwendig bestickte Kopfbedeckung, kamen samt originaler Hutschachtel in die Sammlung. Als Dachbodenfund und teilweise durch Mäusefraß beschädigt, waren diese Textilien in einem kläglichen Zustand und mussten zunächst fachmännisch restauriert werden. Als seine Farben wählte der Abiturjahrgang 1914 die Kombination aus Violett, Weiß und Grün, die sich auch auf der eigens gestalteten Postkarte wiederholt werden, die die Abiturutensilien Arnold Ludger Brenninkmeijers ergänzt.
Längst gehören Schärpe und Cerevis, Band, Mütze und Zirkel nicht mehr zur Ausstattung von Abiturient*innen. Doch auch in der Gegenwart kommen Abiturklassen nicht ohne gemeinschaftsstiftende Symbole aus, die auch Ausdruck in der Kleidung finden – etwa durch einen mit den Namen aller Mitschüler*innen bedruckten Hoodie und ein gemeinsames Abiturlogo und -motto. Die Form mag sich geändert haben – der Wunsch, durch äußerlich erkennbare Merkmale als Mitglied einer Abiturklasse erkennbar zu sein, scheint trotz allen Wandels geblieben zu sein.

Einblick in die Ausstellung, © Draiflessen Collection, Foto: Henning Rogge, 2021.

Ausgehend von den Utensilien Arnold Ludger Brenninkmeijers und einem Hoodie der Mettinger Abschlussklasse des Kardinal-von-Galen-Gymnasiums des Jahres 2021 spürt die Präsentation „Abiturrituale“, die noch bis zum 15.05.2022 in DAS Forum der Draiflessen Collection zu sehen ist, dem Wandel der Feiern und Rituale rund um das Abitur in den vergangenen 100 Jahren nach.

Ein seltenes Filmdokument aus dem Archiv des Gymnasium Dionysianum in Rheine zeigt, wie die Abiturienten noch bis in die 1960er-Jahre ihr Abitur gefeiert haben – äußerlich und im Ablauf wohl ganz ähnlich wie auch Arnold Ludger Brenninkmeijer dies schon getan haben dürfte: Dem offiziellen Teil in der Aula in Anwesenheit der Rheiner Honoratiorenschaft folgte der noch heute dort übliche Eselszug durch die Innenstadt. Indem die frischgebackenen Abiturienten ihre Schulhefte der Ems überantworteten, fand die Schulzeit ihren symbolischen Abschluss. Doch zunächst wurde noch mit den Lehrern, denen man ein Schülerleben lang mit Respekt begegnen musste (dies wurde jedenfalls erwartet) der Kommers gefeiert. In dessen späteren Verlauf und nach Genuss so manchen Glases Bier war nun erlaubt, was wohl noch Wochen zuvor zu einem Verweis geführt hätte: Unter dem heiteren Beifall und Gelächter aller durften die Pauker parodiert und in deren Anwesenheit durch den Kakao gezogen werden.

Einblick in die Ausstellung, © Draiflessen Collection, Foto: Henning Rogge, 2021.

Diese Art das Abitur zu feiern, kam in den späten 1960er-Jahren aus der Mode. Schülerinnen und Schüler rebellierten gegen die in ihren Augen elitären und nicht mehr zeigemäßen Traditionen. Die uniforme Kleidung aus dunklem Anzug oder Kostüm, Band und Mütze hatte zugunsten von Jeans, Minirock und T-Shirt ausgedient. Kommers und Ball wichen allerlei neuen und unangepassten Formen das Ende der Schullaufbahn zu feiern, wie eine Fotowand in der Ausstellung dokumentiert: Grillen auf dem Kreisverkehr in Gronau, Wasserschlacht in Gütersloh und mit dem Esel durch Rheine.

Um die Jahrtausendwende war das Abitur längst kein Freibrief mehr, der alle Tore öffnete. Angst vor Arbeitslosigkeit und Zukunftssorgen prägten das Gefühl so manchen Jahrgangs, der aus dem Schoß der Schule entlassen wurde und dessen Mitglieder sich nun in der Welt allein zurechtfinden mussten. So manches Cover einer Sammlung von Abiturzeitungen aus Petershagen verleiht dieser Sorge Ausdruck. Die Abiturient*innen heute stehen vor ganz neuen Sorgen: Die Pandemie hat schon die Abiturvorbereitungen und Abschlussfeiern von zwei Jahrgängen beeinträchtigt. Dass die diesjährige Abiturientia wieder unbeschwert und ohne Maske und Abstandsregeln feiern darf, ist eher unwahrscheinlich. Wie die Abiturient*innen des Kardinal-von-Galen-Gymnasiums in Mettingen im vergangenen Jahr mit dieser Situation umgegangen sind, haben sie in Interviews und in einem Kunstprojekt zum Ausdruck gebracht. Deutlich wird dies in einem Film und durch das von der Abiturientin Pia Zaruba aus schwarzen OP-Masken genähte Ballkleid gezeigt. Dass Feiern auch unter Corona-Bedingungen möglich sind, haben die Abiturient*innen der letzten beiden Jahre unter Beweis gestellt. Denn wie auch für Arnold Ludger Brenninkmeijer vor über 100 Jahren bedeutet der Schulabschluss auch heute noch das Ende eines alten und den Beginn eines neuen Lebensabschnitts – und das muss gefeiert werden!

Einblick in die Ausstellung, © Draiflessen Collection, Foto: Henning Rogge, 2021.

Ein Hinweis für Ausstellungsbesucher*innen: Falls Sie sich noch an Ihre Abschlussfeier erinnern und noch ein Foto davon besitzen:  Bringen Sie es gerne mit, heften es an unsere Fotowand und ergänzen Sie unsere fotografische Sammlung von „Abiturritualen“.

Die Ausstellung „Abiturrituale“ ist bis zum 15. Mai 2022 in der Draifllessen Collection, Georgstr. 18 in
49497 Mettingen zu sehen. Das Museum ist jeweils mittwochs bis sonntags von 10 bis 17 Uhr und an jedem ersten Donnerstag im Monat von 11 bis 21 Uhr geöffnet. Weitere Informationen für Ihren Besuch, auch zu den aktuell geltenden Corona-Regeln, finden Sie auf unserer Internetseite www.draiflessen.com.

Literatur zu Ausstellung: Abiturrituale/Eindexamenrituelen/School Leavers Rituals, in: Open up. Draiflessen Collection, Mettingen 2021/1.

Kategorie: Ankündigungen

Schlagworte: Museum · Kai Bosecker