"Der Muttertag ist im guten Sinne Bestandteil eines echten Brauchtums geworden."

05.05.2020 Christiane Cantauw

Christiane Cantauw

Lediglich vier der 111 Berichte zur Frageliste 20, mit der die Volkskundliche Kommission ab 1955  "Mai- und Pfingstbräuche" erfragte, nehmen Bezug auf den Muttertag. Alle vier Berichte eint die Tatsache, dass dieser Feiertag sehr kurz abgehandelt wird. Über die entsprechenden innerfamiliären Gepflogenheiten in den 1960er Jahren erfährt man von den Gewährsleuten wenig mehr als, dass der Tag "durch Beschenkung der Mutter begangen" (Ms 3109) wurde. Die "Kinder kommen zu Besuch, sie überreichen ein kleines Geschenk, im Allgemeinen wird der Mutter gratuliert, das Grab der verstorbenen Mutter wird besonders geschmückt" (Ms 3227) – so Herr R., Gewährsmann für die Region Wesel, Hamminkeln, Dingden, der mit diesem Zitat die ausführlichste Beschreibung der offenbar privaten Feiern liefert.      

Die Geschichte des Muttertages beginnt in West Virginia, wo die Methodistentochter Anna Jarvis 1907 für einen „Mother’s Day“ zu werben begann. Jarvis wollte, nicht zuletzt auch als Würdigung der sozialen Leistungen ihrer verstorbenen Mutter, an die wichtige soziale und politische Rolle von Frauen in der Gesellschaft erinnern. 1908 feierte man in Grafton (West Virginia) den ersten offiziellen Muttertag und schon sechs Jahre später, 1914, erklärte der US-amerikanische Präsident Woodrow Wilson den Muttertag zu einem offiziellen nationalen Feiertag. Von den Vereinigten Staaten von Amerika ausgehend eroberte der Ehrentag für die Mutter zahlreiche Länder in der ganzen Welt. Das erste Land auf dem europäischen Kontinent, in dem der Muttertag Fuß fassen konnte, war die Schweiz, wo hauptsächlich die Heilsarmee für diesen Ehrentag geworben hatte.

Die Proklamation des ersten "Deutschen Muttertages" fand 1923 statt, genau in dem Jahr, in dem seine Begründerin Anna Jarvis in den USA wegen ihres öffentlichen Protestes gegen die Kommerzialisierung der Muttertagfeiern inhaftiert worden war. Der Siegeszug des Muttertages in Deutschland war in erster Linie auf die Aktivitäten der deutschen “Muttertags-Bewegung” zurückzuführen, die von Dr. Rudolf Knauer, dem Geschäftsführer des “Verbands Deutscher Blumenge­schäfts­inhaber”, initiiert worden war. An der Bewegung beteiligt waren neben den Blumenhändlern auch national-konservative und biologistisch-rassenhygienisch argumentierende Gruppierungen wie die "Arbeitsgemeinschaft für Volksgesundung"' und ihre Nachfolgeorganisation, die "Deutsche Gesellschaft für Bevölkerungspolitik", oder der "Reichsbund der Kinderreichen".

Ein wichtiger Motor zur Bekanntmachung des neuen Feiertages in Deutschland waren öffentliche Muttertagfeiern. Beispielsweise wurden die Feiern in Münster seit 1925 vom "Reichsbund der Kinderreichen" veranstaltet, um – so heißt es in einem Presseartikel im Münsterischen Anzeiger – den anwesenden Müttern “Hochachtung, Ehre und Preis” zuteil werden zu lassen. Musikalische Darbietungen, Rezitationen, Ansprachen und die Aufführung eines Festspiels dienten der Unterhaltung der eingeladenen 700 kinderreichen Mütter. Zum Verlauf der 1925 abgehaltenen Feier heißt es im Münsterischen Anzeiger: “Nach der Veranstaltung wurde den Müttern von der Stadt eine Eherngabe überreicht (7 Meter Hemdenstoff), die von einem Blumengeschenk der Vereinigung der Blumenhändler Münsters begleitet war”.

Eine solche Veranstaltung eröffnete den Blumengeschäftsinhabern eine willkommene Gelegenheit, (neben anderen Geschenken) Blumen als unverzichtbares Requisit der Muttertagfeiern zu etablieren. Auf der anderen Seite bot sie den Vertretern des "Reichsbundes der Kinderreichen" eine Bühne für ihre bevölkerungspolitischen und nationalistischen Agitationen, die die Frauen aus nationalen Erwägungen auf ihre Gebärfähigkeit und ihre Mutterrolle einschworen. Die überreichten Geschenke – im Jahr 1925 Hemdenstoff und Blumen – taten ein Übriges, um den Müttern zu zeigen, was von ihnen erwartet wurde: auf den Ehemann ausgerichtete Familienarbeit, die (einmal im Jahr) durch ein Blumengeschenk honoriert wurde.   

Parallel zu den öffentlichen Feiern etablierten sich in den Familien private Muttertagfeiern. Alle Festelemente, die dort auch heute noch von Bedeutung sind, wurden zunächst im Rahmen der öffentlichen Muttertagfeiern bekannt gemacht: Der Muttertag als Geschenktermin, die aktive Rolle von Ehemännern und Kindern und die passive Rolle der zu Ehrenden waren von Anfang an zentrale Elemente der deutschen Muttertagfeiern.

Den 1934 zum Feiertag erklärten „Gedenk- und Ehrentag der Deutschen Mütter“ nutzte das NS-Regime öffentlich und politisch, um der „deutschen Mutter, als Hüterin und Pflegerin eines stolzen Nachwuchses“, so Bernhard Rust, Reichsminister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, an diesem Tag des Bekenntnisses „zur artreinen, erbgesunden und kinderreichen deutschen Familie“ besonders zu gedenken (Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen vom 20. April 1934). Angeordnet waren zu diesem Zweck zum Beispiel Schulfeiern, zu deren Bereicherung vom Ministerium Ansprachen, „Gemeinschaftslieder“ und „gut vorbereitete Darbietungen von Schülern (Schülerinnen)“ vorgeschlagen wurden.

Bereits seit Mitte der 1920er Jahre wurde der Muttertag außer von den Floristen von vielen weiteren Branchen als Geschenktermin beworben. So annoncierte beispielsweise das Corsetfachgeschäft Louise Boecker in Münster: “Jede Frau wünscht sich eine vorteilhafte Figur! Zum Muttertag wäre ein Corselet oder Mieder sicher eine willkommene Überraschung”. Und die Münstersche Fa. Th. Vogel versuchte 1931 mit folgender Anzeigenwerbung den Umsatz zu steigern: “Praktisch denken! Waagen, Haus- und Küchenbedarf schenken”, während die Werbung eines Konkurrenzunternehmens feststellte: “Mutter wird sich freuen über ein Geschenk für den Haushalt. Ich zeige Ihnen unverbindlich schöne u. preiswerte Haushaltungswaren”. Den Männern, die noch unentschlossen waren, wurden Schmuck, Kaffee, Bonbonnieren oder die guten und preiswerten Weine der Weinverkaufsstelle Münster ebenso ans Herz gelegt wie etwa die “Hausschuhe mit und ohne Absatz” aus dem Schuhhaus Schelhasse in Münster.

In der Bundesrepublik Deutschland setzt(e) sich die Erfolgsgeschichte des Muttertags als familieninterner Geschenktermin am zweiten Sonntag im Mai fort. In der DDR wurde der Muttertag dagegen offiziell durch den Internationalen Frauentag am 8. März ersetzt. Ob der Muttertag "im guten Sinne Bestandteil eines echten Brauchtums geworden" ist, wie Herr M. aus Canstein 1958 bilanzierte, mag an dieser Stelle jede/jeder für sich selbst entscheiden.