Christiane Cantauw
Lediglich vier der 111 Berichte zur Frageliste 20, mit der die Volkskundliche Kommission ab 1955 "Mai- und Pfingstbräuche" erfragte, nehmen Bezug auf den Muttertag. Alle vier Berichte eint die Tatsache, dass dieser Feiertag sehr kurz abgehandelt wird. Über die entsprechenden innerfamiliären Gepflogenheiten in den 1960er Jahren erfährt man von den Gewährsleuten wenig mehr als, dass der Tag "durch Beschenkung der Mutter begangen" (Ms 3109) wurde. Die "Kinder kommen zu Besuch, sie überreichen ein kleines Geschenk, im Allgemeinen wird der Mutter gratuliert, das Grab der verstorbenen Mutter wird besonders geschmückt" (Ms 3227) – so Herr R., Gewährsmann für die Region Wesel, Hamminkeln, Dingden, der mit diesem Zitat die ausführlichste Beschreibung der offenbar privaten Feiern liefert.
Die Geschichte des Muttertages beginnt in West Virginia, wo die Methodistentochter Anna Jarvis 1907 für einen „Mother’s Day“ zu werben begann. Jarvis wollte, nicht zuletzt auch als Würdigung der sozialen Leistungen ihrer verstorbenen Mutter, an die wichtige soziale und politische Rolle von Frauen in der Gesellschaft erinnern. 1908 feierte man in Grafton (West Virginia) den ersten offiziellen Muttertag und schon sechs Jahre später, 1914, erklärte der US-amerikanische Präsident Woodrow Wilson den Muttertag zu einem offiziellen nationalen Feiertag. Von den Vereinigten Staaten von Amerika ausgehend eroberte der Ehrentag für die Mutter zahlreiche Länder in der ganzen Welt. Das erste Land auf dem europäischen Kontinent, in dem der Muttertag Fuß fassen konnte, war die Schweiz, wo hauptsächlich die Heilsarmee für diesen Ehrentag geworben hatte.