Christiane Cantauw
Am 31. Oktober 1949 kaufte Ursula Henze aus Meschede zwei Haarkämmchen für 1,20 DM und zwei Pfund Äpfel für 70 Pfennig. Ihr Barvermögen reduzierte sich durch die Käufe auf 13,04 DM. Diese Angaben sind einem Oktavheft zu entnehmen, in dem Ursula Henze zwischen 1947 und 1949 ihre Einnahmen, Ausgaben und Bestände notierte.
Damit stand (und steht) sie nicht allein. Zahlreiche Menschen führ(t)en Buch über ihre Ein- und Ausgaben; viele Hausfrauen sowie einige Hausmänner leg(t)en zur Verwaltung ihrer privaten Finanzen sogenannte Haushaltungsbücher an. 2023 wurde im Magazin Graugold das Haushaltsbuch aus dem Jahr 1949 von Hildegard Weber aus Soest vorgestellt; sie hielt darin nicht nur fest, was sie für die fünfköpfige Familie eingekauft, sondern auch, womit sie ihren Tag verbracht hatte. Die Einträge geben einen guten Überblick über die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse der Familie Weber. Sie dokumentieren aber auch das Bedürfnis der Hausfrau, Rechenschaft abzulegen über eine wirtschaftliche und rationale Haushaltsführung, die die eigene Tätigkeit einschloss.
Wirtschaftlichkeit und Rationalität entwickelten sich im 19. Jahrhundert milieuübergreifend zu Prinzipien des alltäglichen Lebens. Bezogen auf die in der Regel von Frauen geführten privaten Haushalte wurden Fragen von Ökonomie, Sparsamkeit und Fleiß zunehmend bedeutsam. Kochen, Waschen, Putzen, Einkaufen, Gartenarbeit, Vorratswirtschaft, Kinderpflege und die Einrichtung der Wohnung standen – ob sie nun mit Hilfe von Personal oder in Eigenregie erledigt wurden oder nicht – unter einem Modernisierungsdruck, der in den Unterrichtsinhalten der Mädchenpensionate und der Einrichtung von Haushaltungsschulen ebenso seinen Ausdruck fand wie in massenhaft verbreiteter Ratgeberliteratur. Aus dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts dazu ein Beispiel: „Der neue Haushalt. Ein Wegweiser zu wirtschaftlicher Hausführung“ von Erna Meyer (1890–1975) erreichte zwischen 1926 und 1932 allein in Deutschland 40 Auflagen; die Autorin hatte 1913 in ihrer Doktorarbeit den Haushalt eines höheren Beamten in den Jahren 1880–1906 anhand von Wirtschaftsrechnungen untersucht, 1933 emigrierte sie nach Palästina.
Neben dicken Ratgeberbüchern fanden auch wesentlich preisgünstigere Werbeschriften mit Ratgebercharakter, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu Tausenden gedruckt wurden, ihr Lesepublikum. Die Ratgeberliteratur richtete sich nicht nur an bürgerliche Hausfrauen wie Hildegard Weber oder Ursula Henze, sondern es gab sie beispielsweise auch für Bauersfrauen, die sorgfältig Buch führen sollten über Hühnerhof, Wäscheschrank und Obstbaumpflanzungen auf dem Hof. Auch die Anlage eines Räucherbuches zur Dokumentation der selbst hergestellten Rauchwaren sei nicht verkehrt, meinte die Gründerin der Landfrauenbewegung Elisabeth Boehm (1859–1943), die ihren Beitrag zur „Bedeutung der Buchführung“ 1926 mit den Worten beschloss „Landfrauen führt Buch über eure Wirtschaft! Landtöchter, lernt sie frühzeitig!“ (S.138)
Im Alltagskulturarchiv liegen Sammlungen von Rechnungen und Belegen vor, die die Ausgaben privater Haushalte dokumentieren. Dass sie gesammelt und aufbewahrt wurden, zeugt von dem Bemühen, einen Überblick über (bestimmte) Ausgaben zu gewinnen und über einen längeren Zeitraum hinweg zu bewahren. Außerdem sind auch einige Kassen- oder Haushaltungsbücher überliefert, in die ihre Besitzerinnen ihre Ein- und Ausgaben handschriftlich eingetragen haben. Je nach Budget nutzten sie wie Hildegard Weber dafür vorgefertigte Kassenbücher, die mit entsprechenden Spalten und Einteilungen im Handel angeboten wurden, oder auch selbst gefertigte Kladden wie Ursula Henze.