Jahresschwerpunkt: Sammeln & aufbewahren „Geld, daß sie verdient, aber nicht vorzeigen kann“. Buchführung im Privathaushalt

24.10.2025 Niklas Regenbrecht

Haushaltungs- und Kassenbücher aus privaten Haushalten sind eine wichtige Quelle für die Forschung. (Foto: Cantauw)

Christiane Cantauw

Am 31. Oktober 1949 kaufte Ursula Henze aus Meschede zwei Haarkämmchen für 1,20 DM und zwei Pfund Äpfel für 70 Pfennig. Ihr Barvermögen reduzierte sich durch die Käufe auf 13,04 DM. Diese Angaben sind einem Oktavheft zu entnehmen, in dem Ursula Henze zwischen 1947 und 1949 ihre Einnahmen, Ausgaben und Bestände notierte.

Damit stand (und steht) sie nicht allein. Zahlreiche Menschen führ(t)en Buch über ihre Ein- und Ausgaben; viele Hausfrauen sowie einige Hausmänner leg(t)en zur Verwaltung ihrer privaten Finanzen sogenannte Haushaltungsbücher an. 2023 wurde im Magazin Graugold das Haushaltsbuch aus dem Jahr 1949 von Hildegard Weber aus Soest vorgestellt; sie hielt darin nicht nur fest, was sie für die fünfköpfige Familie eingekauft, sondern auch, womit sie ihren Tag verbracht hatte. Die Einträge geben einen guten Überblick über die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse der Familie Weber. Sie dokumentieren aber auch das Bedürfnis der Hausfrau, Rechenschaft abzulegen über eine wirtschaftliche und rationale Haushaltsführung, die die eigene Tätigkeit einschloss.

Wirtschaftlichkeit und Rationalität entwickelten sich im 19. Jahrhundert milieuübergreifend zu Prinzipien des alltäglichen Lebens. Bezogen auf die in der Regel von Frauen geführten privaten Haushalte wurden Fragen von Ökonomie, Sparsamkeit und Fleiß zunehmend bedeutsam. Kochen, Waschen, Putzen, Einkaufen, Gartenarbeit, Vorratswirtschaft, Kinderpflege und die Einrichtung der Wohnung standen – ob sie nun mit Hilfe von Personal oder in Eigenregie erledigt wurden oder nicht – unter einem Modernisierungsdruck, der in den Unterrichtsinhalten der Mädchenpensionate und der Einrichtung von Haushaltungsschulen ebenso seinen Ausdruck fand wie in massenhaft verbreiteter Ratgeberliteratur. Aus dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts dazu ein Beispiel: „Der neue Haushalt. Ein Wegweiser zu wirtschaftlicher Hausführung“ von Erna Meyer (1890–1975) erreichte zwischen 1926 und 1932 allein in Deutschland 40 Auflagen; die Autorin hatte 1913 in ihrer Doktorarbeit den Haushalt eines höheren Beamten in den Jahren 1880–1906 anhand von Wirtschaftsrechnungen untersucht, 1933 emigrierte sie nach Palästina.

Neben dicken Ratgeberbüchern fanden auch wesentlich preisgünstigere Werbeschriften mit Ratgebercharakter, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu Tausenden gedruckt wurden, ihr Lesepublikum. Die Ratgeberliteratur richtete sich nicht nur an bürgerliche Hausfrauen wie Hildegard Weber oder Ursula Henze, sondern es gab sie beispielsweise auch für Bauersfrauen, die sorgfältig Buch führen sollten über Hühnerhof, Wäscheschrank und Obstbaumpflanzungen auf dem Hof. Auch die Anlage eines Räucherbuches zur Dokumentation der selbst hergestellten Rauchwaren sei nicht verkehrt, meinte die Gründerin der Landfrauenbewegung Elisabeth Boehm (1859–1943), die ihren Beitrag zur „Bedeutung der Buchführung“ 1926 mit den Worten beschloss „Landfrauen führt Buch über eure Wirtschaft! Landtöchter, lernt sie frühzeitig!“ (S.138)

Im Alltagskulturarchiv liegen Sammlungen von Rechnungen und Belegen vor, die die Ausgaben privater Haushalte dokumentieren. Dass sie gesammelt und aufbewahrt wurden, zeugt von dem Bemühen, einen Überblick über (bestimmte) Ausgaben zu gewinnen und über einen längeren Zeitraum hinweg zu bewahren. Außerdem sind auch einige Kassen- oder Haushaltungsbücher überliefert, in die ihre Besitzerinnen ihre Ein- und Ausgaben handschriftlich eingetragen haben. Je nach Budget nutzten sie wie Hildegard Weber dafür vorgefertigte Kassenbücher, die mit entsprechenden Spalten und Einteilungen im Handel angeboten wurden, oder auch selbst gefertigte Kladden wie Ursula Henze.

In vorgedruckten Haushaltungsbüchern wie demjenigen von Hildegard Weber finden sich teilweise auch „Wäschetabellen“. (Foto: Cantauw)

Zu einigen der Haushaltungsbücher im Alltagskulturarchiv liegen Hintergrundinformationen vor. Doch auch dann, wenn keine Lebensdaten der Besitzerinnen überliefert sind, lassen sich den Quellen zahlreiche Informationen entnehmen. Sofern die Frauen verheiratetet und nicht berufstätig waren, erhielten sie von ihren Ehemännern monatlich Haushaltsgeld, von dem alle Ausgaben für den Haushalt, die Kinder, die Freizeit und auch für eigene persönliche Bedürfnisse bestritten wurden. Hildegard Weber notierte neben Beträgen, die sie vermutlich von ihrem Ehemann erhielt, 1933 auch einmal „Arbeitslosenhilfe“. 1949 erhielt sie neben dem Haushaltsgeld von ihrem Mann Eugen monatlich Zahlungen von ihrer Tochter Ditta. Dies ist ein Beleg dafür, dass berufstätige Kinder, die noch zuhause wohnten, finanziell zu den Ausgaben für die Haushaltsführung beitrugen. Die monatlichen Zahlungen von Ditta an ihre Mutter entsprachen immerhin etwa 20 Prozent des Haushaltsbudgets.     

Die Einnahmen von Ursula Henze werden in ihrem Haushaltungsbuch nicht erläutert. Sie notiert, wenn sie Geld „von der Kasse“ abhebt; woher dieses stammt, geht aus dem „Konto-Buch“ nicht hervor. Weitere Einnahmen stammen aus geringfügigen Gewinnen beim Kartenspiel und am 30.12.1945 auch als Bezahlung für „2 Pullover, die ich für Heikers gearbeitet habe“. Dieser Befund zieht sich durch viele Aufzeichnungen: Die Einnahmenseite wird erheblich weniger dokumentiert als die Ausgaben. Das liegt zum einen daran, dass die Einnahmequellen sehr beschränkt und vielfach über Monate und Jahre hinweg dieselben waren, zum anderen aber auch an der Zielsetzung der Haushaltungsbücher. Die sollten ja vor allem helfen, die Ausgabenseite im Blick zu behalten, unnötige Zahlungen zu vermeiden und eine ausgeglichene wöchentliche oder monatliche Bilanz herzustellen.

Wie Hildegard Weber und Ursula Henze hatten die meisten bürgerlichen Frauen kaum Einfluss auf ihre Einnahmen: Sofern sie nicht aus dem monatlichen Haushaltsgeld ihrer Ehemänner oder dem Kostgeld von zuhause wohnenden Kindern bestanden wie bei Hildegard Weber, erhielten sie so wie Ursula Henze Lohnzahlungen aus abhängiger Beschäftigung, die über Jahre gleichblieb. Selten einmal bot sich ihnen eine Möglichkeit, ihr Budget zu erhöhen. Bei Ursula Henze geschah das durch die Fertigung der Pullover, bei Hildegard Weber waren es 1949 zwei „Verkäufe“, die nicht weiter erläutert werden, aber immerhin je 50,- DM einbrachten. Dementsprechend waren es die Ausgaben, durch deren Reduzierung sie ihre Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit unter Beweis stellen konnten. Das wurde auch in der Ratgeberliteratur so gesehen: „Alles, was die Hausfrau durch ihre Arbeit an Ausgaben erspart, ist im Grunde Geld, das sie verdient, aber nicht vorzeigen kann.“ (Elisabeth Hofmann, S.114).

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Infokasten:

Sie besitzen ein Haushaltungs- oder Kassenbuch aus dem 19. oder 20. Jahrhundert? Wir freuen uns sehr, wenn Sie es dem Alltagskulturarchiv übereignen, wo es folgenden Generationen zur Anschauung und Auswertung dient. Die Belege für das alltägliche private Wirtschaften gehören zu unserem kulturellen Erbe, das in Archiven wie dem LWL- Alltagskulturarchiv bewahrt wird. 

 

Literatur:

Boehm, Elisabeth: Bedeutung der Buchführung. In: Agnes Brirup-Lindemann (Hg.): Der Arbeits- und Pflichtenkreis der ländlichen Hausfrau in Westfalen und Lippe. Im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft der Lehrerinnen der landwirtschaftlichen Haushaltungskunde der Provinz Westfalen. Warendorf 1926, S. 135-138.

Hofmann, Elisabeth (Hg.): Ich werde Hausfrau. Ein Buch für junge Mädchen. Stuttgart 1961.

Mühlestein, Helene: Hausfrau, Mutter, Gattin. Geschlechterkonstituierung in Schweizer Ratgeberliteratur, 1945–1970. Zürich 2009.

Meyer, Erna: Der neue Haushalt. Ein Wegweiser zu wirtschaftlicher Hausführung. Stuttgart 1926, 40. wesentl. erg. u. erw. Aufl. Stuttgart 1932.

Rulffes; Evke: Die Erfindung der Hausfrau. Geschichte einer Entwertung. Hamburg 2021.