Die Georgica Curiosa – ein Höhepunkt der frühneuzeitlichen Hausväterliteratur

28.02.2023 Niklas Regenbrecht

Marcel Brüntrup

Im Archiv für Alltagskultur, geschützt in einer speziell angefertigten Box aus stabiler Pappe, lagert ein Exemplar des ersten Teils der „Georgica Curiosa Aucta, Das ist: Umständlicher Bericht und klarer Unterricht Von dem vermehrten und verbesserten Adelichen Land- und Feld-Leben…“, verfasst von dem österreichischen Landadeligen Wolf Helmhardt von Hohberg (1612–1688). Das Buch trägt einen Stempel der Bibliothek des Volkskundlichen Seminars der Universität Münster (heute Institut für Kulturanthropologie/Europäische Ethnologie) und wurde im Kühlraum des Archivs vor einer geplanten Restaurierung zwischengelagert. Das 33 X 20 Zentimeter messende Werk umfasste ursprünglich 948 Seiten, von denen im vorliegenden Buch allerdings über 200 fehlen. Die erhaltenen Seiten befinden sich größtenteils in einem recht guten Zustand. Ein Einband ist allerdings nicht (mehr) vorhanden und die Lagen des Buchblocks haben sich fast vollständig voneinander gelöst. Der Kupfertitel, ein ganzseitiger Kupferstich vor der eigentlichen Titelseite, ist an den Rändern ausgefranst und mittig der Länge nach eingerissen. Auch das nachfolgende, in Rot- und Schwarzdruck ausgeführte Titelblatt weist deutliche Gebrauchsspuren auf. Dessen ungeachtet macht die prunkvolle Aufmachung auch heute noch neugierig und lädt zum Stöbern ein.

Kupfertitel der Georgica Curiosa.

Bei der Georgica Curiosa, erstmalig erschienen im Jahr 1682, handelt es sich um einen bedeutenden Vertreter aus der Gattung der sogenannten Hausväterliteratur – Lehrbücher und Ratgeber aus dem 16. bis 18. Jahrhundert, die sich an die männlichen Familienvorstände großbäuerlicher Höfe oder adeliger Landgüter richteten und oft hohe Auflagen erreichten. Die vorliegende, stark erweiterte Fassung stammt aus dem Jahr 1687. Das Monumentalwerk besteht aus zwei Teilen zu je sechs Büchern, die nach damaligem Verständnis sämtliche relevante Aspekte der Haus- und Landwirtschaft abdecken. Einer dritten Auflage von 1715 fügte der Verleger zudem ein Kochbuch bei. Der vorliegende erste Teil umfasste ursprünglich folgende Bücher: 1. „Land-Gut“, 2. „Haus-Vatter“, 3. „Haus-Mutter“, 4. „Wein-Garten“ (Teil 1) und „Obst- und Baum-Garten“ (Teil 2), 5. „Kuchen- und Artzney-Garten“ sowie 6. „Blumen-Garten“. Leider fehlen der erste Teil des vierten Buches sowie das gesamte fünfte Buch, ihr Verbleib ist unbekannt. Zudem sind größere Abschnitte des umfangreichen Registers am Ende des Werks nicht mehr vorhanden. Den einzelnen Büchern, die mitunter über einhundert Kapitel umfassen, ist jeweils ein mehrseitiges, lateinisches Gedicht vorangestellt, den Text zieren zahlreiche Kupferstiche und Holzschnitte.

Lateinisches Gedicht als Vorrede zum Buch über den Hausvater.

Für die kulturhistorische Forschung besonders interessant sind die ersten drei Bücher, in denen von Hohberg zunächst ausführliches Wissen zum Landgut und seinen „Zugehörungen“ vermittelt, um sodann Ratschläge und Verhaltensregeln zur erfolgreichen Führung eines Hausstandes zu erteilen. So bespricht er im ersten Buch in nicht weniger als 122 Kapiteln diverse Themen wie etwa Erbfolgeregelungen, Leibeigenschaft, Steuern, Brauereien, Weinschenken, Bettler, Juden, Wiedertäufer, Dörrstuben, Bleichstätten, Bergwerke, Mühlen, Kleinviehhaltung und vermittelt Grundwissen über verschiedene Metalle und chemische Stoffe. Von den Wiedertäufern etwa weiß von Hohberg zu berichten, sie hätten „ihren Anfang zu Münster genommen, da sie ein fantastisches eingebildetes Königreich aufrichten wollen, weil es ihnen aber übel bekommen, sind sie von dannen in unterschiedliche Ort […] verstreuet worden.“ Nun würden sie vielerorts geduldet, da sie „in ihrem Versprechen richtig und warhafftig“ seien, hingegen „ihre Schwermereyen und Aberglauben meisterlich verbergen und dissimuliren“ könnten.

Das zweite Buch richtet sich direkt an den Hausvater und enthält konkrete Empfehlungen zum Verhalten des Familienvorstands gegenüber Gott, seiner Ehefrau, seinen Kindern, dem Gesinde und seinen „Unterthanen“. Zudem listet von Hohberg die im Jahreslauf für den Hausvater anfallenden Arbeiten auf, thematisiert Ausnahmesituationen wie Kriege und Seuchen und behandelt Fragen der körperlichen und geistigen Gesundheit („Die beste Gesundheits-Erhaltung, ein fröhliches Gemüthe“). Ein weiser Hausvater müsse beispielsweise die Vorzeichen einer bevorstehenden Pest erkennen („als wann sonderlich im Frühling viel Feuer-Zeichen in der Luft sich erzeigen; […] wann viel Heuschrecken ziehen; […] ungewöhnliche Erdbeben fürfallen; wann es kleine Krötlein aus den Wölcklein regnet […]“), um sich rechtzeitig „mit gehörigen wider Gifft tauglichen Mitteln“ eindecken zu können.

Georgica Curiosa, Detail: Landgut mit Gärten und Ländereien.

Das dritte Buch enthält vergleichbar Verhaltensratschläge für die Hausmutter und erläutert anschließend ihre vielfältigen Aufgaben in Haushalt und Küche. Dazu zählen unter anderem die Bewirtung von Besuchern („Was zu thun, wann unversehens Gäste kommen“), der richtige Umgang mit verschiedenen Lebensmitteln und Gewürzen, Brotbacken, Einmachen und Konservieren sowie die Herstellung eigener Kerzen, Seifen und Arzneien. Zudem erteilt von Hohberg den „Haus-Müttern“ allerlei Ratschläge zu Schwangerschaft und Geburt sowie zur Behandlung verschiedener Krankheiten. Die sachlich gehaltenen Kapitel sind immer wieder durchsetzt mit persönlichen Ansichten des Autors. Zur Frage beispielsweise, „ob einem Weibs-Bild das Studiren wol anstehe“, merkt von Hohberg zwar an, „daß mehr Schad als Nutzen daraus entspringen sollte“, doch befänden sich auch unter Frauen „extra-ordinarie hohe Ingenia, scharfsinnige Judicia und fürtreffliche Einfälle.“ Dabei handele es sich allerdings um „absonderliche und heroische Exempel“, denen keinesfalls zum Nachteil der „weiblichen Pflicht, Gebühr und Beruffs Arbeit“ nachgeeifert werden dürfe: „Das gemeine Leben wird diese Meynung genugsam erläutern, doch denen excellenten Ingenüs und hohen Geistern mit diesem nichts benommen, die ich vielmehr zu verwundern, als zu tadeln würdig achte.“

Georgica Curiosa, Detail: Weinschenke.

Neben anderen klassischen Werken der Hausväterliteratur wie der „Oeconomia ruralis et domestica“ (1645) von Johann Coler, der „Nützlichen Hauß- und Feldschule“ (1666) von Georg Andreas Böckler oder des „Oeconomus prudens et legalis“ (1702) von Franz Philipp Florinus, gilt die „Georgica Curiosa Aucta“ als einer der wertvollsten Vertreter dieser Gattung. Dies ist auf die reichhaltigen literarischen Kenntnisse des Autors, sein umfangreiches praktisches Wissen, seine bildreiche Sprache sowie nicht zuletzt auf den schieren Umfang des Werkes bei klarer und verständlicher Anordnung des Inhalts zurückzuführen. Die „Georgica Curiosa Aucta“ stellen sowohl wegen der persönlichen Ausführungen von Hohbergs, als auch wegen des vielseitigen, enzyklopädisch erfassten Wissens zur damaligen Haus- und Landwirtschaft eine herausragende und spannende Quelle für die Sozial-, Kultur-, Wirtschafts- und Mentalitätsgeschichte des Barock dar.

Georgica Curiosa, Detail: Beim Brotbacken.

Literatur:

Manfred Lemmer, Haushalt und Familie aus der Sicht der Hausväterliteratur, in: Trude Ehlert (Hg.), Haushalt und Familie in Mittelalter und früher Neuzeit, Vorträge eines interdisziplinären Symposions vom 6.–9. Juni 1990 an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Sigmaringen 1991, S. 181–191.

Julius Hoffmann, Die „Hausväterliteratur“ und die „Predigten über den christlichen Hausstand“. Lehre vom Haus und Bildung für das häusliche Leben im 16., 17., und 18. Jh., Weinheim 1959.

Otto Brunner, Adeliges Landleben und europäischer Geist. Leben und Werk Wolf Helmhards von Hohberg, Salzburg 1949.