Schwerpunkt Sammeln und aufbewahren: Griebens Führer: Die Tauernbahn (München – Salzburg – Badgastein – Triest), Bd. 152. Berlin 1911

01.08.2025 Christiane Cantauw

Griebens Reiseführer „Die Tauernbahn“ aus dem Jahr 1911 sprach mit einer neuen Perspektive vor allem ein alpenbegeistertes Eisenbahnpublikum an. (Foto: Cantauw)

Christiane Cantauw

Über Reiseführer wurde in diesem Blog bereits mehrfach berichtet (Bspw. hier, hier, hier oder hier). Sie bieten Einblicke in historisches Reiseverhalten und auf touristische Blicke; in ihnen dokumentieren sich aber immer wieder auch Stereotype über einzelne Reiseländer und ihre Bevölkerung. Mit ihrer Erzählstruktur und Informationen und Tipps zu Unterkünften, Sehenswürdigkeiten, Fortbewegungsmitteln und Ausflügen vor Ort legen die Reiseführer zudem ein touristisches Verhalten nahe, dem sich manch ein:e Leser:in nicht entziehen konnte oder wollte.

In der Bibliothek der Kommission Alltagskulturforschung für Westfalen werden nach einem Erbfall neben 62 Bänden der Baedecker-Reiseführerreihe auch 59 Bände eines weiteren weit verbreiteten Reisehandbuch-Verlags aufbewahrt: Gemeint ist der Grieben-Verlag, der 21 Jahre nach dem Baedecker-Verlag mit der Herausgabe von Reiseführern die wachsende Nachfrage nach Informationen über bestimmte touristische Destinationen im In- und Ausland bediente. Theobald Grieben hatte den Reiseführerverlag 1853 gegründet und viele der Reisehandbücher in seinem Verlag selbst verfasst. 1863 verkaufte er den Verlag an Albert Goldschmidt. Goldschmidt und seine Nachfolger behielten den eingeführten Verlagsnamen bis zur Arisierung im Jahr 1939 durch die Nationalsozialisten bei.

Zwei Mark kostete der 146 Seiten umfassende Tauernbahn-Reiseführer laut Aufdruck auf dem Umschlag. Dieser ist noch in dem herkömmlichen, an holländische Fliesen erinnernden Design gehalten. Erst in den 1920er Jahren entschied sich der Grieben-Verlag für eine optische Modernisierung der Umschläge seiner Reiseführerreihe und verabschiedete sich von der floralen Gestaltung des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts.

Der 146 Seiten umfassende Reiseführer „Die Tauernbahn“ bot unter anderem vier verschiedene ausklappbare Karten. (Foto: Cantauw)

Abweichend von allen bisher herausgegebenen Reiseführerbänden stellte der Grieben-Verlag mit Band 152 aber nicht ein Reiseland, eine Teilregion oder eine Stadt vor, sondern machte mit der Tauernbahn eine Bahnstecke zum Thema eines Reisehandbuchs. Das war auch im Baedecker-Verlag noch nicht gewagt worden, bedeutete ein solches Vorgehen doch eine länderübergreifende und von dem herkömmlichen Aufbau der Reiseführer abweichende Darstellung.

Unter der Bezeichnung Tauernbahn wird in dem vorliegenden Reiseführer die Bahnstrecke von München bis Triest vorgestellt. Im Grunde genommen wurden hier drei Bahnstrecken zusammengefasst, die andernorts unter dem Begriff „Neue Alpenbahnen“ liefen:  Die Wocheiner Bahn von Aßling nach Görz (eröffnet 1906), die Karawankenbahn von Villach nach Rosenbach (eröffnet 1906) und die Tauernbahn von Badgastein nach Spittal a. d. Drau (eröffnet 1909). Alle überwiegend eingleisig, waren sie eine Infrastrukturleistung der Habsburgermonarchie, durch die zu Beginn des 20. Jahrhunderts der (bis ins Jahr 1918) bedeutendste österreichische Seehafen Triest für Reisende und den Warenverkehr schneller und einfacher erreichbar sein sollte. Laut Reiseführer verkürzte sich die Reisezeit nach Triest je nach Fahrtstrecke „um mehr als die Hälfte bzw. ein Drittel“ (S. 7). Die 323 Bahnkilometer zwischen München und Triest waren dank der Neuen Alpenbahnen 1909 in zwölf Stunden zu bewältigen.

Der Grieben-Reiseführer Tauernbahn belegt, dass die Alpenbahnen von Anfang an nicht nur ein Mittel zur Wirtschaftsförderung, sondern auch ein touristisches Highlight sein sollten. Sie galten gleichermaßen sowohl als technische Meisterleistung – „Die neue Bahn durchbricht dank der tüchtigen und zugleich äußerst kühnen Ingenieurkunst drei große unwirtliche Gebirgsketten“ (S.7) –  als auch als das Verkehrsmittel, das dem reisenden Publikum „Bilder von überwältigender Gebirgsromantik […] gähnende Abgründe und von Wildbächen durchtoste Schluchten“, liebliche Seen und „das Meer in südlicher Pracht“ (S.7) erschloss.

Mit ihrer verkürzenden Darstellungsweise verbreiten Reiseführer auch Stereotype über Land und Leute. (Foto: Cantauw)

Vor allem wohlhabende Tourist:innen aus England hatten sich bereits seit dem 18. Jahrhundert für die mitteleuropäische Hochgebirgsregion begeistert. Spätestens seit dem 19. Jahrhundert waren die Alpen aber nicht mehr den Extremsportler:innen, Adeligen oder Künstler:innen vorbehalten. Der Deutsche und Österreichische Alpenverein hatte – wie auch andere Wandervereine – seit den 1860er Jahren einem sehr viel breiteren Publikum buchstäblich die Wege geebnet. Die Alpenbegeisterung erhielt dadurch weiteren Auftrieb: Je besser die Alpen erschlossen wurden, desto mehr Menschen träumten von einer Reise in diese Bergregion, war diese doch nicht länger geprägt von Entbehrungen und körperlichen Höchstleistungen, sondern die Erfüllung romantischer Vorstellungen von unberührter, spektakulärer Natur.

Die Alpenromantik bedienten nicht nur einschlägige Bildwerke, Reiseführer und Buchpublikationen, sondern beispielsweise auch Präsentationen im sogenannten Kaiser-Panorama in Münster. Das war eine Vergnügungsstätte an der innerstädtischen Aegidiistraße, in der bis zu 25 Personen gleichzeitig stereoskopische Fotografien betrachten konnten. 1911 warb das Massenmedium damit, sein Publikum „mit der neu erbauten Tauernbahn in eine solch herrliche Gegend [zu führen], wie sie schöner und romantischer nicht existiert“. Auch 1929 hatte sich die Begeisterung für die Alpen und die Bergbahnen nicht verflüchtigt. So bot das münsterische Reisebüro M. Lückertz eine „Pfingstreise“ an, in der auch eine Fahrt in der Tauernbahn inkludiert war. 

Der Tauernbahn-Reiseführer richtete sich 1911 in erster Linie an Fußreisende – am Rande auch an Ski- und Rodelsportler – oder an Bahnreisende, denen an Informationen über die durchfahrene Landschaft gelegen war. An den Bahnstrecken entlang werden, versehen mit Hinweisen auf abzweigende Bahnlinien, Landschaften und Orte beschrieben, die meist als „Stationen“ wahrgenommen werden: entweder schwärmerisch „Von der herrlich auf einer kleinen Hochfläche gelegenen Station genießt man einen schönen Rundblick auf die gesamte Karawankenkette“ (S.111) oder nüchtern informativ „Es folgt (120,1 km) Stat. Wiesmühl. Der Ort Wiesmühl liegt 10 Min. von der Bahn entfernt.“ (S.52) Das ist charakteristisch für die Erzählweise des Reiseführers, die sich entlang der Bahntrassen bewegt. Dementsprechend wird auch auf Tunnel, Galerien und Viadukte hingewiesen. Neben den Burgen und Schlössern werden Wasserfälle und Gletscher als Sehenswürdigkeiten aus der Perspektive der durch das Fenster blickenden Bahnreisenden aufgeführt: „Wald und Wiese geben bunte Abwechslung, kaleidoskopartig zeigen sich die näher rückenden Bergketten und verschwinden wieder hinter niedrigen Hügeln, um sich darauf immer prachtvoller in ihrer ganzen Ausdehnung zu entwickeln.“ (S.52) Diejenigen Reisenden, die die Bahn für kürzere oder auch längere Aufenthalte in einzelnen Orten verlassen, bekommen Informationen über das Angebot an Unterkünften und zu den Verkehrsmitteln vor Ort, sie erfahren Wissenswertes über die Sehenswürdigkeiten und erhalten Anregungen für „Spaziergänge“, „Ausflüge“ und „Bergtouren“: „Auf den Triglav (2865 m) in ca. 10 Std., anstrengend, jedoch für Geübte nicht schwierig.“ (S.115)).

In der Münsterschen Zeitung warb das Kaiser-Panorama für eine „malerische Reise an der Tauernbahn“ (Münsterrische Zeitung, 6.2.1911)

Wie sehr Reiseführer auch dazu beitragen, Stereotype zu verfestigen, zeigt sich am Ende des schmalen Bändchens. Dort heißt es über die Hafenstadt Triest, 1911 ein Mikrokosmos verschiedener nationaler Zugehörigkeiten: „Die Lage ist überraschend schön. Ein Stadtteil, die Neustadt genannt, liegt gegen das Meer zu […]. Der andere Hauptteil der Stadt, die sog. Altstadt, baut sich terrassenartig am Berge auf. Steile und enge Gassen führen hier durch ein Labyrinth von alten Häusern, welche zum Teil einen unsauberen Eindruck machen und italienisches Gepräge zeigen.“ (S.131) 

 

Literatur:

Christoph Dautermann: Alpenbegeisterung im Spiegel der Malerei des 19. Jahrhunderts. Petersberg 2016

Anneliese Gidl: Alpenverein. Die Städter entdecken die Alpen. Wien/Köln/Weimar 2007.