Schwerpunkt Sammeln und Aufbewahren: Kein altes Eisen – Alter Eiserkuchen

25.11.2025 Niklas Regenbrecht

Archiv für Alltagskultur, Inv.-Nr. Sg1982.

Yannick Rüskamp

Eiserkuchen wie der Abgebildete mögen den Leser:innen unseres Blogs geläufig sein. Vielleicht weckt die Fotografie sogar bei einigen von ihnen Erinnerungen an den gemeinsamen Verzehr des Gebäcks am Jahresende.

Das wäre nicht weiter ungewöhnlich, denn auch, wenn sie aktuell an Präsenz verloren haben, so gehörten Eiserkuchen bis weit ins 20. Jahrhundert hinein zu denjenigen Gebäcken, ohne die der Jahreswechsel im Münsterland nicht denkbar war. Das war vor einiger Zeit schon einmal Thema in diesem Blog. Entsprechend der traditionell dominanten Rolle des Gebäcks ist es wenig überraschend, dass Eiserkuchen in den Gewährsleuteberichten des damaligen Archivs für westfälische Volkskunde als ein festes Element der jahreszeitlichen Gebäckproduktion und als Beleg für eine regionale Besonderheit beschrieben werden. In den Antwortmanuskripten zur Frageliste Nr. 25 (Advents- und Weihnachtsbrauchtum) finden sich ausführliche Schilderungen zur Teigherstellung und zur Zubereitung am Herdfeuer, aber auch zur Bewirtung von Gästen mit Eiserkuchen und zum gemeinsamen Verzehr.

Eiserkuchen wurden traditionell mit schmiedeeisernen Zangeneisen über dem offenen Feuer gebacken. Dabei spielten auch die Ornamente und Bilder eine Rolle, die von den Zangeneisen auf das Backwerk übertragen wurden.

Unter dem Aspekt der Ikonographie ist der oben abgebildete Eiserkuchen allerdings eher uninteressant, weil die Motive darauf heute auch bei handelsüblichen elektrischen Waffeleisen zu finden sind. Wenn man aber weiß, dass nicht ein Foto von ihm, sondern der Eiserkuchen selbst in der Sammlung aufbewahrt wurde und wird, dann ergeben sich eine Reihe von Fragen: Wie es kommt, dass das vorliegende Exemplar nicht aufgegessen oder entsorgt, sondern vakuumiert und aufgehoben wurde?  Warum und wozu wird ein Eiserkuchen in einer Sammlung zur Alltagskultur aufbewahrt?  

Tatsächlich befindet sich der besagte Eiserkuchen seit nunmehr 65 Jahren in einem Stahlschrank im Magazin 5 im Untergeschoss des Archivs für Alltagskultur. Er trägt die Inventarnummer Sg1982. Abgesehen von einem Bruch an einer der Sollbruchstellen ist er gut erhalten.

Damals noch nicht von der Existenz gezeichnet. Aufnahme d. J. 1960. Archiv für Alltagskultur, Inv.-Nr. 0000.19695.

Hinweise auf die Herkunft des Gebäckstücks sind allerdings spärlich. Laut Inventarkarte wurde der Eiserkuchen im Dezember 1960 von einer Frau Dr. Gescher an die Volkskundliche Kommission übergeben. Zuvor soll er auf einer Handwerksausstellung in Münster gezeigt worden sein. Anlässlich des 550. Jubiläums der Kreishandwerkerschaften Münster-Stadt und -Land, fanden 1960 tatsächlich mehrere Tagungen, Festlichkeiten sowie Ausstellungen unterschiedlicher Innungen statt. Darunter eine zum Thema „Alte[s] westfälische[s] Kunsthandwerk“. Ob es diese Ausstellung war, bei der der Eiserkuchen präsentiert wurde, lässt sich bislang nicht eruieren. Weitere Informationen zur Herkunft des Gebäckstücks liegen nicht vor.

Die Tatsache, dass der Eiserkuchen ein Teil der sogenannten Sachgutsammlung ist, lässt jedoch zumindest eine Vermutung über die ihm zugedachte Verwendung zu. Seit Ende der 1950er-Jahre kaufte die Volkskundliche Kommission mit Sondermitteln im Auftrag des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe „volkskundliche[s] Sachgut“ (Vermerk von Gerda Schmitz) an, welches für die Sammlung des 1971 eröffneten Freilichtmuseums Detmold vorgesehen war. Nach einer Inventarisierung vor Ort in Münster waren die einzelnen Stücke bis Mitte der 1960er-Jahre zum größten Teil nach Detmold respektive in ein Depot in Münster-Kinderhaus gebracht worden. Es erscheint plausibel, dass auch der Eiserkuchen, eventuell gemeinsam mit dem zugehörigen Eiserkucheneisen für die Detmolder Sammlung gedacht war. Dazu passt der Vermerk auf dem Objektumschlag, wonach Dr. Gescher „noch Erkundigungen über das Eisen einholen“ wollte. Ebenso wie für andere Objekte, die nach Detmold gegeben wurden, fertigte man seinerzeit auch von dem Eiserkuchen eine Objektfotografie an. Danach blieb das Objekt anscheinend unbeachtet (zu weiteren Bearbeitung?) liegen.

Zu der Übergabe ist es offenbar nicht gekommen, womöglich weil das entsprechende Eiserkucheneisen noch beschafft werden sollte oder weil das Objekt als nicht relevant eingestuft wurde. Da in der Sammlung des Freilichtmuseums Detmold kein vergleichbares Objekt vorhanden ist, liegt die Vermutung nahe, ein ausgebackener (und nicht aufgerollter) Eiserkuchen sei als Museumsobjekt nicht in Frage gekommen.

Die Objektrecherche hat jedenfalls keine definitiven Antworten erbracht. Der hier skizzierte, intentionale Überlieferungszusammenhang als „Tradition“ lässt sich nicht eindeutig beweisen. Andere Erklärungen, als zufälliger „Überrest“, sind theoretisch denkbar: Ursprünglich zum Verzehr gedacht, einem Bekannten übersandt, dann doch in Vergessenheit geraten. Ungewöhnlich ist überdies, dass die für dem Eiserkuchen zugewiesene Inventarnummer erst rund 20 Jahre nach der Übergabe des Gebäckstücks an die Volkskundliche Kommission vergeben wurde, genauer gesagt nicht vor 1986.

Die fortwährende Existenz des Eiserkuchens ist bereits aus der prinzipiellen Tatsache heraus, dass Nahrungsmittel nicht für die Aufbewahrung in einer archivischen Sammlung geschaffen sind, anachronistisch. Gleichzeitig bedarf es eines formalen Prozesses, um ein einmal inventarisiertes Objekt wieder aus einer Sammlung zu entfernen. So bleibt letztlich nur ein Erstaunen über das Vorhandensein eines 65 Jahre alten Gebäckstücks in einer alltagshistorischen Sammlung und die Hoffnung, dass das hohe Alter die weitere Aufbewahrung rechtfertigt. Mögen dem Eiserkuchen noch viele Jahre zuteilwerden.