Pastoren, Soldaten, Kaufleute… Auf den Spuren einer Familie im Westen Preußens. Neuerscheinung zur Familiengeschichte der Familie Rosenkötter

30.06.2023 Niklas Regenbrecht

Alltagsgeschichte auf den Spuren einer Familie im Westen Preußens bietet die 2023 erschienene Publikation von Michael Rosenkötter (Foto: Cantauw, Kommission Alltagskulturforschung)

Christiane Cantauw

Im November 1922 wandte sich August Rosenkötter der Familienforschung zu. Sie war Anfang des 20. Jahrhunderts ein weit verbreitetes Steckenpferd, das auch in Vereinen und Verbänden institutionalisiert wurde. Dem Hobby ihres Vorfahren ist es wohl zu verdanken, dass in der Familie Rosenkötter viele historische Familienunterlagen zusammengetragen und über Jahrhunderte aufbewahrt wurden.

Dass solche Unterlagen nicht nur für Familienmitglieder von Interesse sein können, zeigt der Versuch Michael Rosenkötters, die Dokumente zum Ausgangspunkt einer „historischen Collage“ zu machen. Darunter versteht er eine Darstellungsweise, die biografische Daten mit historischen Entwicklungen, Ereignissen und Gegebenheiten in Verbindung bringt. Durch akribische Recherchen in Archiven, ein umfangreiches Quellenstudium und natürlich auch die Lektüre von Sekundärliteratur gelang so die Rekonstruktion individueller Schicksale vom letzten Drittel des 18. Jahrhunderts bis in die 1940er Jahre hinein.

Der/die Leser:in begibt sich in zwölf Kapiteln auf die Spuren von Albert und Luise, Ludwig und Jette, ihren Kindern und Kindeskindern. Viele der beschriebenen Personen sind „kleine Leute“: Sie entstammten unterbäuerlichen oder kleinbürgerlichen Milieus, lebten mit ihren zahlreichen Kindern oft von der Hand in den Mund. Welche Chancen und Möglichkeiten boten sich ihnen an ihren jeweiligen Wohnorten durch Bildungssystem, Berufsausbildung oder familiäre Verbindungen? Warum konnten sich einige von ihnen hocharbeiten und warum scheiterten wiederum andere? Welche wirtschaftlichen, politischen oder sozialen Veränderungen erlebten sie innerhalb ihrer Lebensspannen? Wie haben sich Familien und Einzelpersonen angepasst, an welcher Stelle und/oder wodurch eröffneten sich ihnen Chancen und Möglichkeiten, wo und warum waren sie individuell und familiär überfordert? Diese Fragen werden auf 248 Seiten, mit vielen Zitaten aus den Originalquellen angereichert, anschaulich beantwortet.

Was dabei herausgekommen ist, ist ein gut lesbarer und die Stärken der Erforschung von Alltagskultur vor Augen führender Parforceritt durch gut 250 Jahre regionale Geschichte. Strukturen und Veränderungen in Schule, Beruf, Eheschließung, Familiengründung, Krankheiten, (brieflicher) Kommunikation, Geschlechterrollen oder Wohnen und auch die wirtschaftliche und strukturelle Entwicklung von Dörfern, Städten und Regionen werden auf diese Weise in ihrer Bedeutung für die dort lebenden Menschen nachvollziehbar.

Michael Rosenkötter kann nicht alle Fragen beantworten. Manches, dazu gehören die Schicksale vieler weiblicher Familienmitglieder, muss im Dunkel der Geschichte bleiben. Das Verdienst der Publikation ist es jedoch, Fragen aufgeworfen und Interesse geweckt zu haben. Auf diese Weise entsteht auch eine Anschlussfähigkeit für weitere Studien, die im Gegensatz zur vorliegenden Publikation auch ein Quellen- und Literaturverzeichnis enthalten sollten.

Dieser Kritikpunkt soll aber den Wert der Veröffentlichung nicht schmälern, die ich für ausgesprochen anregend und empfehlenswert halte.

 

Bibliografische Angaben:

Michael Rosenkötter: Pastoren, Soldaten, Kaufleute… Auf den Spuren einer Familie im Westen Preußens. Eine historische Collage. Norderstedt 2023.