Das Handwerk der Seilerei in Herford: Seilerei Knauff und Vogel sorgten für Wäscheleinen, Stricke und Einkaufsnetze

12.08.2022 Niklas Regenbrecht

Seilerei Vogel in der Johannistraße Herford, 1930er Jahre, Foto Kommunalarchiv Herford.

Anna Vogt

„Jemanden einen Strick aus etwas drehen“ oder „falls alle Stricke reißen“ einen Plan B in der Tasche haben: Das Seilerhandwerk hat uns viele schöne Sprachbilder hinterlassen. Neben den Seilern, die Seile für Haushalt und Landwirtschaft herstellen, gibt es noch die Reeper, die Taue für die Schifffahrt produzieren. Da das Verdrehen mehrerer Seilstränge zu einem stabilen Seil viel Platz in Anspruch nimmt, gehörte zu jeder Seilerei eine Seiler- bzw. Reeperbahn. Die berühmteste befindet sich heute in Hamburg, doch auch Herford hatte mehrere Seilerbahnen.

Seilerei Knauff in der Brüderstraße 28 Herford, Foto Kommunalarchiv Herford.

Ein Massenphänomen war das Handwerk nicht. Im ersten Adressbuch von 1876 werden nur drei Seiler genannt, ab 1896 sind es vier. Die beiden größten Seilereien waren die Seilerei Knauff und die Seilerei Vogel. Seilerei Knauff befand sich in der Brüderstraße 28. Hier betrieb August Knauff seit 1896 eine Seilerei, die dessen Frau Wilhelmine nach seinem Tod bis 1939 weiterführte. Die Seilerbahn reichte von der Brüderstraße bis zum Martinsgang.

Die zweite große Seilerwerkstatt, Seilerei Heinrich Vogel, befand sich zunächst in der Tribenstraße. Nach dem Tod Vogels 1912 übernahm dessen Sohn Heinrich Friedrich Vogel die Seilerei und Siebmacherei und zog 1914 in die Johannisstraße 14 um. Er erweiterte das Angebot und stellte insbesondere Seile für Kraftübertragungen und Aufzüge her. Auch Wäscheleinen und Einkaufsnetze wurden angeboten, ebenso die Reparatur von Tennisnetzen. Auf alten Karten lässt sich die lange Seilerbahn hinter dem Wohn- und Geschäftshaus gut erkennen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg sollte das vorspringende Haus abgerissen werden, um einer Verbreiterung der Johannisstraße auf 18 Meter und Wohngebäuden Platz zu machen. Heinrich Vogel wehrte sich gegen den Verkauf seines Grundstücks. Zwar wurde ihm im Tausch das Grundstück Brüderstraße Nr. 3 angeboten, dieses wollte er jedoch nur annehmen, wenn ihm „aus dem Verbindungsweg Zur Bleiche bis Bergertorwall – entlang der Fabrikmauer Grebig – ein etwa 3 Meter breiter Streifen für eine Seilerbahn“ überlassen würde. Doch eine 100 Meter lange Seilerbahn wollte der Oberstadtdirektor nicht ermöglichen. Auch vermutete man, die Forderung ziele auf die Anlage einer mechanischen Einrichtung ab, sodass mangels Platz nun eine modernere Seiler-Maschine auf Kosten der Stadt angeschafft werden sollte. Mehrere Gutachten, Ortstermine mit Regierungsbeamten aus Detmold brachten keine Einigung: 1954 wurde Seilermeister Heinrich Friedrich Vogel enteignet.

Die Seilerei war viel Handarbeit. Witwe Knauff bei der Arbeit, Foto Kommunalarchiv Herford.

Das Herford Kreisblatt titelte am 25.08.1954: „Vogel-Haus wird enteignet. Entschädigungstermin am 17. August – Engpaß verschwindet“.  Vom Geld der Entschädigung kaufte Vogel das Grundstück Komturstraße 17. Die Stadt sicherte zu, beim Finden einer neuen Seilerbahn zu helfen und bot einen Platz auf der Kiewiese oder an der Karlstraße an. Da hier jedoch eine Überdachung fehlte, entschied sich Vogel für das Grundstück Langenbergstraße Nr. 52. 1957 starb Heinrich Vogel im Alter von 81 Jahren, die Seilerei führte die Tochter Margret gemeinsam mit dem Onkel Herbert Vogel weiter.

Seilereien im Adressbuch 1936, Kommunalarchiv Herford.

Enkelin Ingrid Recksieck erinnert sich: „Nach dem Tod meines Großvaters 1957 half mein Onkel Herbert meiner Mutter in der Seilerei. Er fuhr mit dem Motorrad zu den Bauernhöfen in der Region, um zu fragen, welche Seilgrößen benötigt wurden.“ Zurück in der Seilerei wurde dann nach Maß produziert. Auch die Kinder halfen tatkräftig mit. Besonders gefragt waren Seile zum Anbinden von Kühen, aber auch größere Siebe und Drahtgeflechte. Produziert wurde vor allem mit Naturfasern, d.h. Hanf und Flachs. In den Nachkriegsjahren löste die maschinelle Produktion die handwerkliche Fertigung dann mehr und mehr ab. 1964 schloss die Handseilerei Vogel als letzte ihrer Art in Herford. Die Maschinen und Werkzeuge bot Ingrid Recksiek 2015 der letzten Seilerei im Kreis Herford, der Seilerei Nowotny in Bünde an. 1873 im Riesengebirge gegründet, befindet sich die Seilerei Nowotny seit 1945 in der Schwartemeierstraße in Bünde und ist bis heute aktiv, stellt u.a. Stricke aus Kunststoffseilen für den Reitsport und Seile für den Segelsport her. Sohn Jörg führt das Handwerk in 4. Generation weiter uns ist heute als Seilermeister in der Schweiz tätig. Doch auch die Bünder Seiler konnten die alten Werkzeuge der Seilerei Vogel nicht mehr gebrauchen, sodass diese am Ende in der Sammlung des Museum Schloss Doberlug in Brandenburg landeten. Ein einzelner Hanfstrick, der von den Nachfahren der Familie Vogel in Ehren gehalten wird, erinnert heute noch an die letzte Seilerei in Herford und ein Handwerk, das so gut wie ausgestorben ist.

 

Zuerst erschienen in: HF-Magazin. Heimatkundliche Beiträge aus dem Kreis Herford, Nr. 121, 15.06.2022, herausgegeben von der Neuen Westfälischen.

Link: https://www.kreisheimatverein.de/wissen/hf-magazin/

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