Schwerpunkt Sammeln und Aufbewahren: Über die Nöte eines ehrenamtlichen Sammlers

22.07.2025 Niklas Regenbrecht

Niklas Regenbrecht

„Es ist noch recht viel vorhanden, nur wissen müßte man wo.“ – Das war eines der zentralen Probleme, die Karl Schmidthaus 1965 zum Aufspüren von „volkskundlich interessante[n] Sachen“ benannte. Ein weiteres war der persönliche Umgang mit den Eigentümern dieser Sachen, denn es zeigte sich, „daß nicht alle Menschen so aufgeschlossen“ seien, Gegenstände fotografieren zu lassen, geschweige denn abzugeben.

Karl Schmidthaus war seit 1958 als ehrenamtlicher Mitarbeiter – als Gewährsperson – für die damalige Volkskundliche Kommission für Westfalen tätig. Das Leben und Arbeiten in seinem Heimatort Bochum-Laer dokumentierte er in zahlreichen Berichten. Neben den von der Volkskundlichen Kommission vorgegebenen Themen widmete er sich aus eigenem Antrieb vor allem den örtlichen Friedhöfen, Gebäuden und Gebrauchsgegenständen – das damalige Interesse an Sachkultur bedienend.

Schmidthaus‘ Dokumentation erfolgte nicht nur in Wort, sondern auch in Bild. Mit großem Arbeitseifer fotografierte er Grabsteine, Höfe, Ortsansichten, Festveranstaltungen oder Haushaltsgegenstände wie beispielsweise Krüge oder Möbel.

Grabsteine, ev. Friedhof, Bochum-Langendreer, 1961, Foto: Karl Schmidthaus, Archiv für Alltagskultur in Westfalen, 0000.20737.
Bochumer Maiabendfest, 1961, Foto: Karl Schmidthaus, Archiv für Alltagskultur in Westfalen, 0000.21262.
Zinndeckel eines Bierkruges, 1961, Foto: Karl Schmidthaus, Archiv für Alltagskultur in Westfalen, 0000.20775.
Schrank, 1964, Foto: Karl Schmidthaus, Archiv für Alltagskultur in Westfalen, 0000.28441.

Schmidthaus war weder als Fotoprofi, noch als Fachmann für die beschriebenen Dinge unterwegs. Als Straßenbahnfahrer und Schaffner hatte er beruflich keine Berührungspunkte zu seiner ehrenamtlichen Tätigkeit. Er sammelte nicht für sich selbst, alles was er niederschrieb, fotografierte oder an Objekten erhielt, war für die Sammlung der Volkskundlichen Kommission bestimmt, die wenige Jahre zuvor für diese Zwecke ihr Archiv eingerichtet hatte. Lag dort die Motivation eher in Dokumentation und Forschung äußerte sich Schmidthaus einem Pressebericht zufolge deutlich kulturpessimistisch:

„‚Als ich noch zur Schule ging […] da gab es hier in Laerheide noch Holzgeräte, Eggen und Walzen. Wo finden Sie das heute noch?‘ Karl Schmidthaus‘ große Aufgabe und Sorge ist, soviel wie möglich an volkskundlichen Dingen zu erjagen. Langsam verschwindet alles. ‚So vieles entgeht einem doch‘ sagt er; es macht ihm Kummer. Vor kurzem hatte er auf dem Gelände des neuen Opelwerkes die letzte und einmalige Gelegenheit, ein paar schöne Kotten zu fotografieren, ehe sie im ‚Maul der Bagger‘ verschwanden.“ (Ruhrnachrichten 02.09.1961)

Dieser Pressebericht und die folgende Fotografie entstanden im Jahr 1961 anlässlich eines Pressegesprächs bei der Volkskundlichen Kommission. Unter den zahlreichen Gewährspersonen war es zufällig Schmidthaus gewesen, der den insgesamt gesehen 2000. Bericht verfasst hatte. Diesen Anlass nutzte man, um ihn – auch stellvertretend für alle anderen Ehrenamtlichen – zu ehren und bei den Zeitungslesern für eine weitere Mitarbeit zu werben.

Karl Schmidthaus, Mitarbeiter der Volkskundlichen Kommission und Pressevertreter, 1961. Foto: Gerda Schmitz, Archiv für Alltagskultur in Westfalen, 0000.21696.

„Brauchtumspflege ist sein Hobby“ – „Schaffner hilft der Wissenschaft“ – „Findiger ‚Bochumer Junge‘ macht Jagd auf alte Zeugen“. So titelten anschließend verschiedene regionale Zeitungen über das Engagement von Karl Schmidthaus und seine ehrenamtliche Arbeit. Von Seiten der Volkskundlichen Kommission war man auf die Mitarbeit von über ganz Westfalen verteilten Gewährspersonen angewiesen, die über die örtlichen Gegebenheiten berichten konnten. Als Laien wurden diese fachlich angeleitet und zu wissenschaftlicher Arbeitsweise angehalten, aber wie im Falle Schmidthaus‘ auch gelegentlich ermahnt:

„Doch leider kann ich nicht umhin, wieder einige kritische Anmerkungen zu den Berichten zu machen. So erscheint mir der Bericht über Bildstöcke, gemessen an der Weitschweifigkeit der Darstellung, inhaltlich recht dünn. Bei den Beschreibungen mußte ich zu meinem Bedauern den Korrekturstift häufiger gebrauchen. Ich dachte, wir hätten uns darüber geeinigt, daß Beurteilungen wie: sehr schön, bemerkenswert, beachtlich, überraschend, eigenartig usw. in der sachlichen Beschreibung nichts verloren haben.“ (Brief Irmgard Simon, Volkskundliche Kommission an Karl Schmidthaus, 01.07.1964, MA 604)

Wie Schmidthaus arbeitete und welche Rolle dabei der Zufall spielte, thematisierte er auch selbst. Einleitend zu einem Bericht über Butterformen beschrieb er seine Herangehensweise:

„Als ich vor einiger Zeit zufällig auf den alten Voß-Kotten an der Heintzmannstraße in Laer kam, war der Zeitpunkt für mich äußerst günstig. Man hatte nach dem Tode der alten ehemaligen Besitzerin stark umgebaut und die Zimmer in guten und moderneren Zustand versetzt und war gerade daran, ein Großaufräumen durchzuführen. Dabei kam dann so allerlei zu Tage, von dem die jetzige Besitzerin wohl wußte, aber schon lange nicht mehr an das Vorhandensein dieser Sachen gedacht hatte, eben, weil sie seit Jahrzehnten nicht mehr benutzt worden sind. Unter diesen Sachen befanden sich auch zwei in ihrer Ausführung sehr schöne Butterformen […]. Durch diesen Zufall wurde ich wieder auf diese Geräte aufmerksam, denn bis jetzt hatte ich bei der Suche nach alten volkskundlichen Zeugnissen noch niemals an diese einst oft benutzten Butterformen gedacht.“ (MS02080)

In der Folge beschrieb er auf sieben Textseiten jene Butterformen im Detail. Ein weiteres Beispiel ist Schmidthaus „Bericht über alte Gebrauchsgegenstände“ vom August 1965. Diese detaillierten Beschreibungen von Gegenständen wie Kaffeekannen, Steinzeugschüsseln, Holzschaufeln, Messern, Feuerhaken, Bierkrügen und Dreschflegeln leitete er wie folgt ein:

„Es ist heutzutage nicht mehr so leicht, noch alte Gebrauchsgegenstände aufzuspüren. Das macht sich besonders in unserer Gegend und Zeit bemerkbar. Dabei spielen hier die besonderen strukturellen Umwandlungen eine bedeutende Rolle. Um an Hand eines Beispieles die Situation so kurz wie möglich zu erläutern sei darauf hingewiesen, daß es in dem Stadtteil Querenburg, das noch bis vor einigen Jahren fast rein landwirtschaftliches Nutzungsgebiet war, nur noch ganz wenige Bauern gibt, die ihr Land bestellen. Ihre Zahl kann man an den Fingern einer Hand abzählen. Ähnlich ist es in Laer. Da sind es eigentlich nur noch zwei. In einigen Jahren dürfte sich die Situation in dieser Hinsicht noch mehr zugespitzt haben, denn wir erleben hier jetzt erst den Anfang.

Bei vielen alten Familien werden noch Gegenstände aufgehoben, die nicht mehr gebraucht werden, die man aber auch nicht wegwerfen will.  Sie liegen meistens unbeachtet in irgend einer Ecke und verkommen dort langsam aber sicher. Oft weiß man nichts von ihnen und wundert sich, wenn man sie bei einem Aufräumen einmal findet. Dann werden sie in der Regel weggeworfen, denn meistens geschieht so ein Aufräumen dann, wenn junges Blut das Anwesen übernommen hat. Auf diese Art und Weise ist uns schon viel verloren gegangen. Es gibt aber keine Möglichkeit, diese Entwicklung aufzuhalten, denn die meisten jungen Menschen haben keine Beziehung mehr zu dem Althergebrachten und Ursprünglichen – sie modernisieren ohne Bedenken. So bin ich oft schon zu spät gekommen und habe von dem Vorhandensein volkskundlich interessanter Sachen und Gerätschaften erst erfahren, wenn sie nicht mehr da waren. Es ist eben eine nicht zu beseitigende Schwierigkeit, in Erfahrung zu bringen, wo sich ein Betätigungsfeld ergibt. Es ist noch recht viel vorhanden, nur wissen müßte man wo. Eine weitere Schwierigkeit ist, daß nicht alle Menschen so aufgeschlossen sind, ein Fotografieren ihrer Sachen zu erlauben. Auch habe ich wiederholt beobachtet, daß besonders alte Menschen eine eigentümliche Scheu haben, genannt zu werden.“ (MS02578)

Strukturwandel – wohlgemerkt ist in diesem Beispiel aus dem Ruhrgebiet von 1965 erst jener Wandel vom landwirtschaftlichen zum industriell geprägtem Ortsbild gemeint – sowie Generationenwechsel, Modernisierungen und schlichtes Desinteresse waren dem Sammler „volkskundlich interessanter Sachen und Gerätschaften“ hier die Haupthindernisse seiner Tätigkeit. Das indes sollte Schmidthaus nicht davon abhalten, über einen Zeitraum von zehn Jahren über 4000 Fotografien aufzunehmen und annähernd 200 Berichte zu verfassen und sie bei der Volkskundlichen Kommission einzureichen, wo sie gesammelt wurden und bis heute verwahrt werden.