Vlotho als Zigarrenstadt – die Villa Schöning

06.06.2025 Niklas Regenbrecht

Die Villa Schöning stand am Fuße des Amtshausbergs in Vlotho. 1898 erbaut, diente sie nach dem Krieg als Unterkunft für hochrangige Offiziere der US-Armee. Später bewohnten auch britische Offiziete die Villa, die später zu einem Altenheim umfunktioniert wurde, ehe sie immer weiter verfiel und 2011 schließlich einem Brand zum Opfer fiel. Foto: Sammlung Inge Wienecke.

Inge Wienecke

„Minske, wat schmickt de Zigarr fin, de kann doch nur ut Vlauthe sin!“ (Mensch, was schmeckt die Zigarre fein, die kann doch nur aus Vlotho sein!“) – diese Werbung nutzten Vlothoer Zigarrenfabriken noch bis in die 1970er Jahre. Der Heimatverein Vlotho gab jetzt ein Buch über Vlotho als Zigarrenstadt heraus, das diesen Titel trägt.

Vlotho war wegen seines Hafens lange vor Bünde ein Zentrum der Zigarrenproduktion. Das wird noch heute im Stadtbild von Vlotho erkennbar an 13 beeindruckenden Villen ehemaliger Zigarren- „Barone“.

Die prachtvollste Villa war die des Fabrikanten Schöning. Repräsentativ am Amtshausberg gelegen, galt sie als Wahrzeichen Vlothos.

Was hat es mit dieser Villa auf sich? Willi Schöning, Neffe und Nachfolger des Firmengründers Friedrich Schöning, ließ sie 1898 bauen. Die Zigarrenindustrie prosperierte in dieser Zeit. In dem 1846 an der Weser errichteten Lagerhaus aus Horststeinen lagerten oft 15.000 Tabakballen. Diese kamen in die Fabrik an der Langen Straße, wo das Personal Zigarrenwickel herstellte und mit schönem Deckblatt außen umrollte.

Ab 1880 erfolgte das weitgehend in Heimarbeit. In den Familien waren auch die kleineren Kinder im Einsatz, obwohl die Arbeit von Kindern unter 12 Jahren seit 1853 verboten war. Aber in den Wohnungen konnte man es nicht kontrollieren.

Die fertigen Zigarren sortierte das Personal nach Farbtönen und verpackte sie in Zigarrenkisten. Der Sortiersaal im dritten Stock der Zigarrenfabrik Schöning besaß nur Fenster nach Norden, denn das war „das ehrlichste Licht.“ Hier befindet sich heute das Heimatmuseum Vlotho. Aufwendige Zigarrenkisten aus Zedernholz, mit teuren Bildern beklebt, zeugen hier von dem „Kult“, den man beim Zigarrenrauchen betrieb. Das schönste Bild befindet sich jeweils an der Innenseite des Deckels, weil man Zigarren in der geöffneten Kiste anbot.

Mit diesen farbenfrohen Bildern auf den Innenseiten der Zigarrenkisten warben die Fabrikanten für ihre Produkte. Foto: Sammlung Inge Wienecke.

Als Willi Schöning 1924 starb, wurde sein Sohn Julius (1883 – 1952) Firmeninhaber. Nach Umbau und Modernisierung zog er mit seiner großen Familie in die Villa am Amtshausberg ein.

Im Februar 1929 brach ein Brand im dritten Stock der Zigarrenfabrik Schöning aus. Die Vlothoer Feuerwehr versuchte mithilfe einer Motorspritze zu löschen, die das Wasser aus der nahegelegenen Weser holte. Weil die Feuerwehr in Bad Oeynhausen eine größere Leiter besaß, wurde auch sie alarmiert. Doch bei den eisigen Temperaturen gefror immer wieder das Löschwasser in den Schläuchen. Schließlich kam auch die Feuerwehr aus Bielefeld über völlig vereiste Straßen in Vlotho an. Das Feuer brannte von morgens 7 Uhr bis zum Folgetag um 17 Uhr. Der Brand zerstörte das Fabrikgebäude völlig.

Innerhalb von acht Monaten gelang es, die Zigarrenfabrik Schöning mit vielen Modernisierungen wie „Klosett-Anlagen“ und Abzugsdachklappen wieder neu aufzubauen.

Julius Schöning war über 25 Jahre lang Vorsitzender des Reichsverbandes der Zigarrenhersteller in Deutschland. Nach 1933 hatte er hin und wieder Ärger mit der NS-Bürokratie wegen diverser Filialen. Ein Bild seiner Ehefrau Margarete wurde 1937 im NS-Kampfblatt „Stürmer“ abgedruckt, weil sie „beim Juden“ gekauft hatte. Auch Julius Schöning kaufte jedes Mal demonstrativ dort eine Krawatte, wenn die SA die jüdischen Textilgeschäfte in Vlotho belagerte.

Das Foto von Julius Schöning stammt aus der Stiftung Westfälisches Wirtschaftsarchiv in Dortmund, wohin die Familie Schöning alle Unterlagen gab.

Diese regimekritische Haltung hinderte ihn jedoch nicht daran, eine Zigarrenfirma aus dem Besitz eines jüdischen Fabrikanten zu „arisieren“. Die Firma J. Reiß OHG betrieb eine der größten Zigarrenfabriken Deutschlands. Am 25.04.1938 meldete die „Frankfurter Zeitung“, dass sie für [lächerliche] 2 Millionen RM mit mehr als 2.000 Arbeitskräften und 13 Filialen in Baden, Hessen und Bayern den Besitzer wechselte.

Der jüdische Besitzer der Firma, Paul Reiß, wollte mit dem Verkauf „retten, was jetzt noch möglich ist“. Von dem Geld sah er nur wenig. Zunächst sprach man ihm ein Drittel der Summe zu und er wanderte mit seiner Familie in die Niederlande aus. Doch die NS-Regierung rechnete von dieser geringen Summe noch Devisensteuern, Judenvermögensabgabe, Reichsfluchtsteuern usw. ab, sodass ihm nur ein Zehntel blieb und das ging mit der Besetzung der Niederlande durch die Hitlerregierung auch verloren. Die Familie Reiß wurde ins KZ Bergen-Belsen verschleppt, das nur die Ehefrau Else und ein Sohn überlebten.

Weil Julius Schöning nicht Mitglied der NSDAP gewesen war, machten ihn die im Mai 1945 in Vlotho einmarschierenden Amerikaner zum Amtsbürgermeister. Binnen drei Stunden musste die Familie Schöning im Mai 1945 ihre Villa am Amtshausberg räumen, die nun hochrangige amerikanische Militärs, später Briten, bewohnten. Die Familie Schöning musste, wie auch alle anderen Bewohner schöner Villen in Vlotho, in andere Gebäude ausweichen.

Mit der Freigabe 1950 verkaufte die Familie Schöning die Villa an den Kreis Herford. Nacheinander bestanden hier zwei Altenheime, bevor das Gebäude 1988 an einen Privatmann aus Berlin verkauft wurde, der es völlig verfallen ließ. Im Internet und in der „Bild“-Zeitung kursierten Fotos von der angeblichen „Horror“-Villa. 2011 zerstörte ein Feuer die Überreste.

Nach dem Tod von Julius Schöning 1952 übernahm sein Sohn Dietrich die Firma. Doch der Zigarrenkonsum war immer weiter rückläufig, nicht zuletzt durch die Konkurrenz der Zigarette. War beim Übergang von der Pfeife zur Zigarre noch die Zigarre als einfacher zu benutzen empfunden worden, so war es jetzt die Zigarette, die man problemlos bei sich trug und in kürzerer Zeit („Zigarettenpause“) rauchen konnte.

Dietrich Schöning gab 1971 die Zigarrenproduktion auf, als einer der Wenigen, ohne insolvent zu sein, und orientierte sich beruflich neu.

Das Gebäude der Zigarrenfabrik Schöning an der Langen Str. 53 in Vlotho wird heute als „Kulturfabrik“ auf vier Etagen genutzt als Jugendzentrum, Stadtbücherei, Jugendkunstschule und Heimatmuseum.

 

Das „Minske…“-Buch wurde von Inge Wienecke verfasst in 29 Kapiteln auf 303 Seiten. Es ist für 19€ in Vlotho erhältlich. Bibliographische Angaben: Inge Wienecke: „Minske, wat schmickt de Zigarr fin ...“ Vlotho als Zigarrenstadt, Vlotho 2024.

 

Zuerst erschienen in: HF-Magazin. Heimatkundliche Beiträge aus dem Kreis Herford, Nr. 132, 19.03.2025, herausgegeben von der Neuen Westfälischen.

Link: https://www.kreisheimatverein.de/wissen/hf-magazin/

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