„Wir knipsen das Kollosseum.“ Hedwig Kruse erobert Rom (Teil 2)

16.07.2021 Dorothee Jahnke

„Echter Schnappschuß, Karsamstag 1966“. Bildbeschriftung und Foto: Hedwig Kruse, Archiv für Alltagskultur, Bestand Kruse.

Christiane Cantauw


Vor wenigen Wochen war in diesem Blog bereits von Dr. Hedwig Kruse die Rede, die mit ihrer Reisegefährtin Clärchen im Frühjahr 1966 für zwei Wochen nach Rom geflogen ist. Was die beiden Damen dort noch erlebt haben und was das über das Reisen in den 1960er Jahren aussagt, soll im Folgenden dargestellt werden.   
Die 14 Tage ihres Aufenthaltes in Rom verbrachten Hedwig Kruse und ihre Reisegefährtin Clärchen mit der Besichtigung der christlichen und antiken Sehenswürdigkeiten und Museen, verschiedener Gärten, Fahrten mit dem Bus oder mit dem PKW ins Umland (Ostia, Lido, Campagne). Hierbei wie auch bei der An- und Abreise vom/zum Flughafen fällt auf, wie gut die beiden Frauen mit den öffentlichen Verkehrsmitteln (Bus, Metro) zurechtkamen. Auch bei den selteneren Taxisfahrten erwiesen sie sich als selbstbewusste Reisende, die sich nicht übervorteilen ließen: „10h bringt uns die Taxe zum Bahnhof Termini. Der Fahrer verhandelt zunächst mit uns. Er möchte uns bis zum Flughafen (ca. 30 km außerhalb Roms) bringen für 5000 Lira. Wir lehnen ab u. stellen nachher fest, daß es gut so war. Der Fahrpreisanzeiger im Taxi zeigt bei Bhf. Termini 790 Lira an. Der Fahrer fordert noch 700 L. für das Gepäck. Wir geben ihm L. 1000,-. Die Beförderung zum Flughafen kostet je Person 800 L. u. je für das Gepäck – das 20 kg. nicht überschreiten darf – 700,- also pro Person 1.500 Lira.“ (S. 43)  

Ein wichtiger und häufig wiederkehrender Programmpunkt während des 14tägigen Rom-Aufenthalts, der sich über die Osterfeiertage erstreckte, war der Besuch heiliger Messen, Andachten und einer Papstaudienz. Insgesamt besuchten Hedwig und Clärchen in den zwei Wochen neun Messen, darunter auch die Palmweihe im Petersdom, für die sie sich Tribünenkarten besorgt hatten.

Anders als bei der ersten Romreise besaß Hedwig Kruse 1966 – ebenso wie ihre Reisebegleitung –einen eigenen Fotoapparat. Die drei Filme von der Reise wurden als Dias gefertigt und liegen im Archiv für Alltagskultur vor. Was darauf zu sehen und nicht zu sehen ist, hat Hedwig Kruse akribisch notiert, ebenso, wo und wann sie die Aufnahmen machte: „Von der Besichtigung des Forums ist noch der Vestatempel u. insbes. das Vestalinnen-Haus zu erwähnen. (Hier Aufnahme der dort aufgestellten Skulpturen). Wir knipsen das Kolosseum und besteigen dann über eine Treppe den Palatin.“ (S. 12) Und an anderer Stelle: „nicht geknipst Bereich Monte Mario mit Sternwarte und Hiltonhotel“. (Notizzettel Fotoaufnahmen Film II und III)

Insgesamt erwiesen sich Hedwig Kruse und ihre Reisebegleitung als vor allem kunst- und kirchengeschichtlich interessierte, gut organisierte und sehr religiöse Reisende, die an keiner Stelle irgendwelche Ängste und Vorbehalte erkennen ließen. Im Gegenteil: Als sie von Liesel Wodraska-Hahne, einer Mitarbeiterin des Deutschen Historischen Instituts in Rom, zu einer PKW-Fahrt im Fiat 1500 in die Campagne eingeladen wurden, zeigten sie sich interessiert am römischen Alltagsleben (Wohnverhältnisse, Mietpreise, Familienleben etc.). Die im Gespräch erzielten Erkenntnisse wurden anschließend akribisch im Reisetagebuch notiert und schlossen mit einer Feststellung zum Ausgehverhalten der römischen Familien: „Die Römerin ißt gerne gut, jedoch liebt sie nicht die viele Arbeit.“ (S. 7)

Zu einer Reise gehörte auch 1966 bereits der Kauf von Reiseandenken. Hier zeigt sich erneut der bildungsbürgerliche Anspruch der beiden Frauen: „Wir begeben uns in den Verkaufsraum u. erstehen jeder eine auf Holz aufgezogene Ikone als Reiseandenken an die Romfahrt 1966 Clärchen hat die Dreifaltigkeitsikone gewählt, ich eine Verkündigung.“ (S. 33)

Die Romreise von Hedwig und Clärchen war 1966 sicherlich eher ungewöhnlich: Flugreisen stellten zu dieser Zeit noch eine Besonderheit dar, die sich wegen der verhältnismäßig hohen Kosten von DM 398,- für Hin- und Rückflug nur wenige Reisende leisten konnten. Zum Vergleich: Der monatliche Bruttoverdienst eines Facharbeiters lag in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre bei etwa DM 1.000,-. Als Massenreiseverkehrsmittel begann sich das Flugzeug erst ab 1970 durchzusetzen. Außerdem war es in den 1960er Jahren nicht üblich, dass Frauen ohne männliche Begleitung eine Individualreise unternahmen, war seinerzeit doch sogar ein Besuch in einer Gaststätte ohne einen Mann an ihrer Seite für viele Frauen noch undenkbar.

„Rom, 14.4.66, Kapitoli u. Museum, Im Hof d. Konservatorenpalastes“. Bildbeschriftung und Foto: Hedwig Kruse, Archiv für Alltagskultur, Bestand Kruse.

Die Unterlagen zeugen davon, dass die Reise gut vorbereitet war. Die promovierte Lehrerin Hedwig Kruse wusste ziemlich genau, was sie sich in Rom ansehen wollte. Das umfangreiche Besichtigungsprogramm brachte es mit sich, dass die 14 Tage sehr ausgefüllt waren. Von Erschöpfung angesichts des intellektuell und körperlich anspruchsvollen Programms ist aber an keiner Stelle die Rede.  

Das akribische Führen eines Reisetagebuches hat sich für Hedwig Kruse bewährt. Das 1966 angelegte Heft nahm sie offensichtlich auch auf eine Romreise im Jahr 1975 (wieder eine Gruppenreise) mit. Dies gab ihr auch Gelegenheit zur Korrektur ihrer Angaben: So ist nun klar, dass die Moses-Statue nicht links – wie 1966 notiert –, sondern vorne rechts in San Pietro in Vincoli steht!