Blick in die dritte Dimension. Der Eigenbau-Stereodiabetrachter

25.06.2021 Niklas Regenbrecht

Der dreidimensionale Effekt des Diabetrachters kann mit der Abbildung leider nicht nachgeahmt werden. Foto: Christoph Mörstedt.

Christoph Mörstedt

Sein Metier war die Fotografie. Ulrich Fischer hatte bei Carl Zeiss in Jena gelernt und gearbeitet. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs war er nach Vlotho gekommen und hatte 1949 in der Weserstraße ein kleines Fotogeschäft eröffnet. Als Staatlich approbierter Optiker betrieb er später in der Langen Straße sein Geschäft „Optik-Foto-Fischer“. Das ist inzwischen lange her, aber im Museum der Weserstadt bewahren die Heimatfreunde ein Gerät auf, in dem viel Erinnerung an Foto-Fischer steckt.

Optisch macht das Dings nicht viel her: Ein dunkler Kasten aus 4 mm-Sperrholz, fast wie eine Zigarrenkiste, aber mit Kabel dran. An einer Schmalseite finden sich ein doppeltes Okular wie bei einem Opernglas, an einer Längsseite ein Stellrädchen und ein senkrechter Schlitz. Zwei einfache Druckschalter sind beidseitig montiert. Was soll das sein?

Fischer verbaute wohl Teile eines Fernglases. Foto: Christoph Mörstedt.

Udo Kohlmeier, Museumsmann vom Dienst, hat zwei alte Kisten voller seltsamer Dias mitgebracht. Eins davon schieben wir durch den Schlitz in den Kasten, drücken auf die beiden Knöpfe und es geht uns ein Licht auf. Durch das Okular geschaut, am Rädchen scharf gestellt – und es erscheint ein Bild mit einer phantastischen Raumwirkung, wie 3D. Vordergrund, Mittelgrund, Hintergrund, zwar schwarz-weiß, aber umwerfend realistisch.

Diabetrachter geöffnet. Foto: Christoph Mörstedt.

Dazu also hat Ulrich Fischer zwei 25-Watt-Kolbenlampen in seinen Guck-Kasten gebaut, eine Milchglasscheibe, die Dia-Führung und das Binokular samt Zahnstangenverstellung. Alles musste in Höhe, Breite und Tiefe genau berechnet werden, damit das Gehirn des Betrachters aus zwei ganz leicht unterschiedlichen Aufnahmen ein plastisches Bild zusammensetzt, naturgetreu und rein – so funktioniert das Prinzip der Stereoskopie.

Wenn jedes Auge nur eins der versetzt fotografierten Dias sieht, entsteht der Eindruck von Tiefe. Foto: Christoph Mörstedt.

Die Idee stammt von dem britischen Physiker Charles Wheatstone. Er fand 1838 heraus, dass man dem menschlichen Gehirn gleichzeitig zwei Bilder anbieten kann. Wenn diese beiden Bilder in ihrer jeweiligen Perspektive einen Abstand von ziemlich genau 65 Millimetern einnehmen, macht das Gehirn ein Raumbild daraus. Genauso verfährt das Gehirn auch sonst mit den Informationen, die ihm die beiden natürlichen Augen liefern. Anfangs erreichte man diesen Effekt mit Zeichnungen, nach der Erfindung der Fotografie mit Kameras, die zwei Objektive hatten, im passenden seitlichen Abstand. Auf der Weltausstellung 1851 in London machte die Stereofotografie Furore und seitdem war die populäre Technik nicht aufzuhalten. Erst der Film beendete den Höhenflug dieses Mediums.

In den Dia-Kisten des Museums in Vlotho stecken viele phantastische Aufnahmen, alle als Stereo-6X6 Glasdias: ein Schatz aus der Vorkriegszeit. Hochwertige Betrachter dazu waren meist aus Holz gebaut und ziemlich teuer. Später gab es industriell gefertigte Doppel-Guckis aus Plastik wie den „View-Master“ oder den „Stereomat“. Im Spielzeug-Sortiment von Fisher-Price hat das Verfahren bis heute überlebt.

Darauf hat Ulrich Fischer nicht gewartet. Einen Stereo-Diabetrachter baute er sich lieber selbst. Gelernt ist eben gelernt.

 

Zuerst erschienen in: HF-Magazin. Heimatkundliche Beiträge aus dem Kreis Herford, Nr. 116, 18.03.2021, herausgegeben von der Neuen Westfälischen.

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