In einem Brief von 1818 berichtet Brentano einer Freundin, Luise Hensel, über seine ersten Eindrücke von Land und Leuten. Diese Quelle gehört zu den wichtigsten Schilderungen der kleinbäuerlichen Lebensverhältnisse im Münsterland im frühen 19. Jahrhundert:
„Die Bauernhäuser, und selbst die vaterländischen, wohlhabenden Bürgerhäuser, sind in der inneren Einrichtung ein Beweis, daß hier das wahrhaft häusliche, patriarchalische Leben noch Grund und Boden hat. Wenn Du in das Bauernhaus trittst, stehst Du in einem großen Raum, wie in einer Scheune: Du bist in der Mitte des ganzen Lebens. Auf Platten an der Wand brennt das Feuer an der Erde, ein sich bewegender, eiserner (bei armen hölzerner) Arm dreht den kleinen eisernen Kochkessel, oder den großen Kessel für Viehfutter, von der Wasserpumpe über das Feuer; links und rechts stehen die Futtertröge der Kühe und Pferde, deren Köpfe hineinsehen. Die Schlafstellen sind ebenso in die Wände angebracht, mit verschlossenen Thüren, daß man Nachts nach dem Vieh sehen kann. Um einen Pfeiler herum läuft in einem ausgeschnittenen Brett das Kind im Zirkel, wie im Caroussel, damit es nicht ins Feuer fällt.
Am Ende dieser Halle wird gedroschen oder Flachs gebrochen, oben drüber liegt das Heu oder Getreide. Die Hausfrau am Feuer übersieht Alles. Die Fenster sind von vielen kleinen Scheiben mit Glasmalereien, geistliche Sprüche und Bilder enthaltend, aus alter Zeit; draußen rauschen die Bäume, und die Leute sind einfältig, fleißig, kräftig, gastfrei und fromm.
All dieses findest Du bei reichen Bauern vollständig und mit Behaglichkeit, bei ärmeren roh und grob: das Einzige, was bei vielen Armen den Ungewohnten sehr drückt, ist der Mangel des Rauchfangs. Der Rauch zieht durch alle Öffnungen nach Belieben, bei Regentagen ist Alles voll Rauch, doch wird dies nun immer seltener.
Ich ging neulich nach dem väterlichen Hause der Emmerich, wo sie geboren ist und das ihr älterer Bruder, ein frommer Bauer mit Weib und Kind, jetzt besitzt. Es liegt einsam unter mehreren zerstreuten Wirthschaften, und diese Bauerschaft heißt Flamske und gehört in die Gemeinde der Jacobi-Pfarrkirche des eine halbe Stunde entfernten Städtchens Coesfeld. Ich hatte den Wunsch die Stelle zu sehen, wo sie geboren ist, wo ihre Wiege gestanden. Stelle Dir eine baufällige Scheune mit altem Stroh gedeckt, von Lehm zusammengeknetet vor. Das große Scheunenthor halb offen und inwendig nichts zu sehen, als ein dichter Rauch, vor dem ich kaum ein Schritt weit Etwas erkennen konnte. Die Schwägerin und der Bruder begrüßten mich freundlich, nur die Kinder waren befremdet, aber reichten auf Befehl der Eltern doch gleich Kußhände. Vor der Thüre zwei ungeheure Eichen. Da aß ich Pumpernickel und Butter und Milch, und der fromme Bruder sprach bei jeder Sache: ‚Mit Gott!‘.
In dem Hause fand ich keine Stube, was man so nennen kann. In dem viereckigen Raume war ein Winkel abgeschlagen, worin der Webstuhl stand; dann einige Thüren, wie alte Fensterladen: gingen sie auf, so sah man in große Bettladen voll Stroh, worauf einige Federkissen lagen. Auf der anderen Seite guckt Ochs und Esel herein, alle Geräthschaften stehen und hängen herum; oben hängt Heu und Stroh, und Ruß und Spinnen, und das Ganze ist von einer dichten Rauchwolke in eine ewige Undurchsichtigkeit gehüllt.
Da ward dies feine, leicht geistvolle Wesen geboren und erzogen, da und nirgends anders erhielt es seine Unschuld in Gedanken und Werken. Mir war es wie in der Krippe zu Bethlehem zu Muth. Ich nahm einige Eicheln unter den Bäumen für Dich auf und ging nach Coesfeld, wo sie täglich zur Kirche ging, um die Stelle in der Jesuitenkirche zu sehen, wo Christus ihr seine Krone aufgesetzt.“