Das „Leinendorf“ Laer im Münsterland. Unternehmerfamilien und Arbeiterschaft in der Fotografie

06.05.2025 Niklas Regenbrecht

In der Weberei Bauer (Foto Carl Bauer, um 1910).

Unter dem Titel „Mode.Land“ erschien 2020 eine umfassende Darstellung zur Kleidungsgeschichte im Münsterland auf der Quellenbasis von Familienfotos. Grundlage des Bandes ist die Fotosammlung des Textilfabrikanten Carl Bauer (1873-1963), der in Laer (Krs. Steinfurt) ein 1857 gegründetes kleines Textilunternehmen mit dem Schwerpunkt auf der Leinenweberei führte.

Eine Ergänzung zu den bekannten Aufnahmen von Carl Bauer ( https://global.museum-digital.org/collection/9638 ) bilden weitere Fotos aus der Familie und dem Betrieb Bauer, die im Bildarchiv des Kreisheimatbundes Steinfurt überliefert sind. Sie wurden in den 1980er Jahren für ein Projekt zu Kleidung und Trachten im nördlichen Münsterland offenbar von den originalen Glasplattennegativen abgelichtet und zeigen private Szenen und Aufnahmen aus der Leinenweberei der Familie Bauer.

Ausfahrt der Familie Bauer (Foto Carl Bauer, um 1910).

Wie andere Textilfabrikantenfamilien im Münsterland war auch die Familie Bauer durch Herkunft, Konfession und Bekanntenkreis eng in die dörfliche Lebenswelt ihres Wohnortes Laer eingebunden. Ihre Familienfotos dokumentieren somit auch ein Stück Dorfgeschichte.

Im Rahmen des „Trachten-Projektes“ wurden 1989 aber auch zahlreiche weitere Aufnahmen aus Laer reproduziert. Sie stammen aus ganz unterschiedlichen Familien und wurden über den örtlichen Lehrer und Heimatforscher Hermann Völker zusammengetragen. Die Motive geben Einblick in das Alltagsleben des vom Leinengewerbe geprägten Orteses aus der Perspektive der einfachen Dorfbewohner:innen.

Textilarbeiterinnen (1925).
Fastnacht in der Weberei Bauer in Laer (1915).

Da sind zum einen Fotos von Textilarbeitern und Arbeiterinnen, die sich für den Fotografen vor „ihrer“ Fabrik positioniert haben. Bemerkenswert ist dabei eine Aufnahme, die im Ersten Weltkrieg (1915) bei einer Fastnachtsfeier in der Firma Bauer entstand. Die Fabrik war eben nicht nur ein streng reglementierter Arbeitsplatz, sondern auch der Ort von Gruppenbildung, Pausen und Geselligkeit.

Die Straßen des Dorfes Laer waren gesäumt von den Häusern der Textilarbeiterfamilien. Viele Aufnahmen zeigen Weberfamilien vor ihrem Haus. Die Gebäude sind zumeist noch aus Fachwerk gebaut und zeigen häufig ein Dielentor, manchmal auch landwirtschaftliche Geräte. Im dörflich strukturierten Laer betrieben viele Textilarbeiter im Nebenerwerb eine selbständige Landwirtschaft. Die dort anfallenden Arbeiten wurden teilweise von der Hausfrau und anderen Familienmitgliedern erledigt. So konnten die Weberfamilien sehr flexibel auf jahreszeitliche Arbeitsspitzen in der Fabrik sowie auf Konjunkturen und Krisen im Textilgewerbe reagieren.

Auf manchen Fotos tragen die Weberfamilien schlichte Alltagskleidung und Holzschuhe. Diese Aufnahmen machen in der Regel einen spontanen Eindruck. Bei Fotos in Sonntagskleidung hatte sich der Fotograf offenbar angekündigt und die Bilder wurden sorgfältig inszeniert. Die Frauen tragen modische Kleidung und häufig auch aufwendige Hüte. In ihrem Bestreben nach modischer Kleidung standen sie anscheinend der Fabrikantenfamilie Bauer nicht nach. Nur ihre wirtschaftliche Lage setzte den Wünschen engere Grenzen.

Hausweber und seine Frau, Laer (um 1890).

Das älteste Foto aus Laer in der Sammlung des Kreisheimatbundes aus Laer zeigt einen Hausweber mit seiner Frau. Die Aufnahme soll um 1890 entstanden sein. Nach der Gründung der Firma Bauer 1857 beschäftigte dieses Unternehmen zahlreiche Leinenweberei im Verlagssystem. 1864 gab es im Kreis Steinfurt noch 5414 Personen, die an 3554 Handwebstühlen als Hausweber tätig waren, davon 290 in Laer. Nachdem die Familie Bauer 1884 ein Fabrikgebäude mit einer Dampfmaschine errichtete, lief die Hausweberei für den Betrieb allmählich aus. Die letzten Hauswerber sollen erst kurz vor dem Ersten Weltkrieg ihr Gewerbe eingestellt haben und wurden dann Fabrikarbeiter.

Das Foto zeigt einen Blick in den engen und dunklen Webraum. Im Hintergrund sitzt ein alter Mann an einem Webstuhl, im Vordergrund eine alte Frau mit einem Spulrad und einem Scherrahmen. Das Garn wurde seit dem 19. Jahrhundert den meisten Hauswebern vom Unternehmer fertig geliefert und nicht mehr selber gesponnen. Vermutlich sollte mit dem Foto ein „aussterbendes Handwerk“ dokumentiert werden.

Leinenprüfer der Firma Bauer (um 1915).

Bei der Abgabe des gewebten Leinens beim Verleger wurden die Garne einer genauen Qualitätskontrolle unterzogen. Fehlerhafte Gewebe wurden schlechter bezahlt oder sogar ausgesondert. Daher waren die Garnkontrolleure im Dorf nicht sehr beliebt. Ein Foto aus dem Bestand von Carl Bauer zeigt einen Leinenprüfer in seinem Betrieb beim Begutachten einer Leinenrolle.

Die Leinentücher mussten vor dem Verkauf bzw. der Weiterverarbeitung gebleicht werden. Hierzu gab es in Laer eine Reihe kleinerer, aber selbständiger Bleichereien. Die Bleichwiesen lagen entlang des Ewaldibaches, der sich mitten durch das Dorf zieht. Diese Bleichereien arbeiteten auch für die Firma Bauer.

Einige Fotos zeigen den „Besitzer einer kleinen Leinenbleicherei“ in einer speziellen Berufskleidung. Diese Aufnahmen sind Abzüge von Glasplattennegativen, doch ist unklar, ob sie ebenfalls von Carl Bauer stammen. Eine Aufnahme zeigt den Bleicher mit seinem Schöpfeimer und weiteren Gerätschaften in seinem Betrieb. Die Szene mit dem gleichen Mann und seiner Frau an einem Bachlauf beim Wasserschöpfen für die Leinenbleiche sollten vermutlich einen aussterbenden Berufszweig dokumentieren. Eine weitere Fotografie des Leinenbleichers und seiner Frau zeigt das Ehepaar am Kaffeetisch mit dem im Münsterland früher weit verbreiteten „Knabbelkümpken“*.

Die über vierhundert erhaltenen privaten Aufnahmen des Unternehmers Carl Bauer präsentieren in ganz unterschiedlichen Facetten das Leben einer Fabrikantenfamilie aus der Oberschicht im Dorf Laer. Die Aufnahmen aus dem Bildarchiv des Kreisheimatbund Steinfurt dokumentieren hingegen den Alltag der Textilarbeiter:innen und Bleicher:innen im gleichen Ort.

 

Literatur: Michaela Haibl, Gudrun M. König (Hg.): Mode.Land – Ein Textilfabrikant fotografiert, 1900-1925. Waxmann, Münster, 2020.

 

*Ein „Knabbelkümpken“ ist eine henkellose große Tasse, in der getrocknete Weißbrotstücke („Knabbeln“) mit Kaffee oder Milch übergossen wurden – früher im Münsterland eine beliebte Speise, besonders aus für zahnlose alte Menschen.

 

Alles Fotos stammen aus dem Bildarchiv des Kreisheimatbundes Steinfurt.

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Schlagwort: Andreas Eiynck