Dörfliche Hochzeitsfeier im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts in einem Gedicht von Annette von Droste-Hülshoff

07.07.2020

Musikkapelle auf der Tenne bei einer Hochzeit in Rheine-Catenhorn, um 1950. (Foto: KAF)

Gitta Böth/Christiane Cantauw

„Des alten Pfarrers Woche“ lautet der Titel eines Gedichts von Annette Freiin von Droste zu Hülshoff, das diese 1835 verfasst hatte und dessen Erstdruck 1839 vorlag. In insgesamt 61 Strophen wird geschildert, mit welchen Tätigkeiten der Protagonist, ein alter katholischer Pfarrer, an den verschiedenen Wochentagen beschäftigt ist. Das Gedicht ist daher in sieben Abschnitte, entsprechend den Wochentagen, unterteilt und beginnt am Sonntag. Im dritten Abschnitt, der zehn Strophen umfasst, steht für den alten Pfarrer eine Hochzeitsfeier an, die kulturhistorisch aus mehreren Gründen interessant ist.

Die Dichterin Annette Freiin von Droste zu Hülshoff schrieb 1835 das Gedicht „Des alten Pfarrers Woche“, das unter anderem mit der zeitgenössischen Schilderung einer münsterländischen Hochzeit aufwartet. (Foto: Karl Franz Klose, Archiv KAF).

Die Trauung fand am Dienstag statt, einem Wochentag, der bis ins 20. Jahrhundert hinein für Hochzeiten beliebt war, weil er als ein für diesen Anlass besonders glücklicher Tag galt. Auf den Sonntag konnten Hochzeitsfeiern natürlich nicht terminiert werden, denn der Pfarrer war an diesem Tag mit der Verkündung von Gottes Wort vollends ausgelastet. Sein freier Tag war der Montag, an dem – nach Aussage des Gedichtes – keiner gerne zur Trauung komme. Hochzeitsfeiern am Freitag waren unüblich, denn dieser Wochentag galt als Unglückstag, weil Jesus Christus an einem Freitag gestorben ist. Auch die freitäglichen Fastengebote sprachen zumindest für Katholiken gegen ein Hochzeitsfest an diesem Wochentag. Dass das Brautpaar und die Hochzeitsgäste an einem Dienstag nur schwer abkömmlich sein könnten, spielte auf dem Land dagegen keine Rolle, denn ein Großteil der landwirtschaftlichen Arbeiten musste so oder so täglich erledigt werden.

Gleich im ersten Vers der ersten Strophe des dritten Abschnitts lässt Annette von Droste-Hülshoff die Hochzeitsgäste zur Livemusik paarweise das Tanzbein schwingen und gibt erste Hinweise, wo die Hochzeitsfeier stattfand; weitere Informationen zur Lokalität verteilen sich auf die folgenden Strophen. Gefeiert wurde auf der breiten, mit Vieh aufgestallten Tenne im Bauernhof der Brauteltern.

Auf der breiten Tenne drehn
Paar an Paar so nett,
Wo die Musikanten stehn,
Geig' und Klarinett,
Auch der Brummbaß rumpelt drein, –
Sieht man noch den Bräut'gamsschrein
Und das Hochzeitbett.

Teufelsgeige, teilweise auch als Brummbass bezeichnet. Vreden, 1983 (Foto: KAF)

Die Musikanten spielten mit Instrumenten, die im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts auf dem Land durchaus üblich waren: Geige, Klarinette und Brummbass. Diese Kombination aus Streich- und Holzblasinstrumenten stellte gewissermaßen die musikalische Mindestanforderung dar. Ob es sich beim Brummbass um eine Bassgeige oder um eine Teufelsgeige gehandelt hat, kann nicht beantwortet werden. Dass das Instrument im Gedicht nicht wie ein Kontrabass brummte, sondern dass es rumpelte, mag ein Indiz dafür sein, dass es eines der selbstgebauten Saiten- und Lärminstrumente war, die auf dem Land bei allen möglichen Festen zum Einsatz kamen und zuweilen Brummbass genannt wurden. Allerdings findet sich für die Bassgeige auch die Bezeichnung „Rumpelbass“.

Unter Begleitung der Musikanten ging der Hochzeitszug offenbar durch das Haus. Man besichtigte neben der Aussteuer, die der Bräutigam im „Bräutigamsschrein“ ins Haus gebracht hatte, auch das Hochzeitsbett; anzunehmen ist, obwohl es hier nicht beschrieben wird, dass die Nachbarsfrauen es zuvor hergerichtet hatten.

Dass hier nicht eine junge Frau einheiratete, sondern ein Mann, wird in der zweiten Strophe thematisiert:

Etwas eigen, etwas schlau,
Und ein wenig bleich,
Sittsam sieht die junge Frau,
Würdevoll zugleich;
Denn sie ist des Hauses Sproß,
Denn sie führt den Eh'genoß
In ihr Erb und Reich.

Bei der Braut handelte es sich offensichtlich um die Erbtochter, eine sogenannte Piggenbrut. Sie war eine sehr gute Partie und ist sich im Gedicht von Annette von Droste-Hülshoff trotz aller Sittsamkeit ihrer Würde und ihres Standes deutlich bewusst. Von einer solchen Piggenbrut war in diesem Blog schon mehrfach die Rede.

Die mit Goldfäden bestickten Haubenböden gaben den Münsterländer Goldhauben ihren Namen. Im 19. Jahrhundert dokumentierten die Frauen mit einer solchen Haube ihren Wohlstand. (Foto: KAF)

Die folgende Strophe widmet sich der großen Familie, die – da man sich liebte – natürlich bei einem so wichtigen Familienfest anwesend sein musste. Die weiblichen Hochzeitsgäste wurden dabei genauer betrachtet. Sie trugen als schmückendes Accessoire das an einem Samtband hängende Kreuz, das zum Outfit der Frauen aus dem katholischen Münsterland gehörte. Besonders auffällig waren jedoch ihre wertvollen Hauben: die Münsterländer Goldkappen, deren Haubenböden mit feinem Goldfaden bestickt waren.

Sippschaft ist ein weites Band,
Geht gar viel hinein;
Hundert Kappen goldentbrannt,
Kreuze funkeln drein;
Wie das drängt, und wie das schiebt!
Was sich kennt und was sich liebt
Will beisammen seyn.

Nun ein schallend Vivat bricht
In dem Schwarme aus,
Wo sogar die Thiere nicht
Weigern den Applaus.
Ja, wie an der Krippe fein
Brüllen Ochs und Eselein
Ueber'n Trog hinaus.

Dem ausgebrachten Toast auf das Brautpaar schlossen sich in der vierten Strophe auch die aufgestallten Tiere an. Dass sie berechtigt und als zum Haus gehörend bei der Hochzeitsfeier anwesend waren, zeigt der Vergleich mit dem Ochsen und dem Esel, die bei Jesu Geburt an der Krippe standen.

Erst die fünfte Strophe widmet sich dem Bräutigam. Darin wurde auf seine neue Stellung ebenso angespielt wie auf seine Aufgabe bei der Hochzeit, den Hochzeitsgästen ordentlich einen (Schnaps) einzuschenken und Späße lachend zuzulassen.

Ganz verdutzt der junge Mann
Kaum die Flasche hält,
Spässe hageln drauf und dran,
Keiner neben fällt;
Doch er lacht und reicht die Hand.
Nun! er ist für seinen Stand
Schon ein Mann von Welt.

In der nächsten Strophe geht es anscheinend um die Hochzeitsgeschenke. In der Beschreibung deutet sich an, dass es sich um eine sogenannte Gebehochzeit handeln dürfte, d. h. die geladenen Gäste schenkten Geld, welches in einen Deckelkorb gelegt wurde. Solche Gebehochzeiten ermöglichten erst die Feiern mit Personenzahlen, die in die Hunderte gehen konnten. Sie wurden immer mal wieder verboten, waren aber vor allem deshalb sehr beliebt, weil die Geldgeschenke auf Gegenseitigkeit angelegt waren, also als eine Art zinsloses Darlehen fungierten, das bei der Hochzeit der Darlehensgeber natürlich auf Heller und Pfennig zurückgezahlt werden musste. Von der Obrigkeit verboten wurden Gebehochzeiten, weil die Landesherren befürchteten, dass das Geld nicht für den neu gegründeten Hausstand verausgabt würde, sondern für die Ausrichtung eines möglichst prächtigen Hochzeitsfestes, und dass die Untertanen zudem bei den Hochzeitsausgaben alles daransetzen würden, sich gegenseitig zu überbieten.

Alte Frauen schweißbedeckt,
Junge Mägd' im Lauf,
Spenden was der Korb verdeckt,
Reihen ab und auf.
Sieben Tische kann man sehn,
Sieben Kaffeekessel stehn
Breit und glänzend drauf.

Live-Musik war bei Hochzeitsfesten auch in den 1950er Jahren noch üblich. Die Zusammenstellung der Instrumente hatte sich gegenüber der von Annette Freiin von Droste zu Hülshoff beschriebenen nur wenig geändert. (Foto: Adolf Risse, Münster)

Eine üppige Hochzeit wurde auch hier gefeiert. Die vielen großen und glänzenden Kaffeekessel beweisen, dass es sich nicht um arme Leute handelte. Zudem war Bohnenkaffee im 19. Jahrhundert zwar sehr beliebt, aber auch sehr kostspielig. Auf einer Hochzeit trieb man einen solchen Aufwand aber durchaus, ging es bei solchen Festen natürlich auch darum, zu zeigen, wer man war und was man hatte.

Die letzten vier Strophen befassen sich mit dem Pfarrer. Während die übrigen Hochzeitsgäste wohl noch weiter gefeiert haben dürften, verabschiedete sich der Gottesmann gegen Abend. Er dankte der Hausfrau und ließ auf dem Nachhauseweg die Feier Revue passieren. Gemäß seiner Funktion als Sittenwächter des Dorfes sinnierte er darüber, ob alles schicklich zugegangen sei. Diesbezüglich war er wohl mit seinen Pfarrkindern zufrieden. Eine andere Entwicklung bereitete ihm jedoch Sorgen.

Aber freundlich, wie er kam,
Sucht der Pfarrer gut
Drüben unter tausend Kram
Seinen Stab und Hut;
Dankt noch schön der Frau vom Haus;
In die Dämmerung hinaus
Trabt er wohlgemuth;

Wandelt durch die Abendruh'
Sinnend allerlei:
„Ei, dort gieng es löblich zu,
Munter, und nicht frei.
Aber – aber – aber doch –“
Und ein langes Aber noch
Fügt er seufzend bei.

Dorn im Auge waren dem Pfarrer die Kleidungssitten, die übertriebene Kleiderpracht. Das Sich-gegenseitige-Überbieten im Tragen kostspieliger Kleider betrachteten die geistlichen und weltlichen Herrscher als einen Grund für wirtschaftliche Schieflagen und das galt es zu vermeiden. Mit Kleiderordnungen und vielfältigen Erlässen und Verboten versuchte man die Verschwendungssucht einzudämmen. Auch dem Pfarrer ging das ausufernde Kleidungsverhalten seiner Schäfchen zu weit.

„Wie das flimmert! wie das lacht!
Kanten Händebreit!“
Ach die schnöde Kleiderpracht
Macht ihm tausend Leid.
Und nun gar – er war nicht blind –
Eines armen Mannes Kind;
Nein, das ging zu weit.

Kurz, er nimmt sich's ernstlich vor,
Heut und hier am Steg,
Ja, an der Gemeinde Ohr,
Wächter treu und reg,
Will er's tragen ungescheut;
O er findet schon die Zeit
Und den rechten Weg.

Kein Wunder also, dass der alte Pfarrer sich vornimmt, in seiner nächstsonntäglichen Predigt dagegen anzugehen!