Münster 1570 – Geschichte und Geschichten aus der Hauptstadt Westfalens. Eine Ausstellung im Stadtmuseum Münster

23.08.2022 Niklas Regenbrecht

Das Baden in der Aa war um 1570 herum nicht nur möglich, sondern auch üblich wie eine Szene im Vordergrund des Hogenbergschen Kupferstichs belegt.

Christiane Cantauw

Vor 120 Jahre entdeckte Max Geisberg bei Forschungen in London einen bis dahin verloren geglaubten Kupferstich von 1570, der eine Stadtansicht von Münster zeigt. Dieser Kupferstich, der seinerzeit nach einer Vorlage des Malers Hermann tom Ring von Remigius Hogenberg gefertigt wurde, ist nun für die Dauer von einigen Monaten wieder nach Münster zurückgekehrt. Er ist Leitobjekt in einer Sonderausstellung im Stadtmuseum, die sich um das Münsteraner Alltagsleben vor rund 450 Jahren rankt.

Bernd Thier, der Kurator der Ausstellung, nimmt den detailreichen Kupferstich zum Ausgangspunkt einer historischen Ist-Aufnahme: Was lässt sich dieser und anderen Quellen über das Leben in der Stadt um das Jahr 1570 entnehmen?

Wie immer, wenn es um historisch weit zurückliegende Zeiten geht, ist die Quellenlage entscheidend, ob und welche Geschichten erzählt werden können. Die Kerssenbroicksche Chronik, Ratsprotokolle, Gemälde, Waffen, Zeichnungen, Urkunden und Münzen künden vom Alltagsleben an der Schwelle zur Neuzeit. All das ist in der Ausstellung zu sehen und wird in seiner Besonderheit eingehend erklärt. Schließlich ist es keine Selbstverständlichkeit, dass wir heute darüber Kenntnis erhalten, wie sich im 16. Jahrhundert das Leben vor den Stadtmauern gestaltete oder wie ausschweifend die Münsteraner Fastnacht gefeiert haben. Ersteres – beispielsweise ein Schweinehirt, die Gemüsegärten der Bürger oder ein Ballspielplatz – ist auf dem Kupferstich zu sehen, letzteres weiß der damalige Rektor der Domschule Hermann Kerssenbroick, der um das Jahr 1570 herum ein Manuskript über die Geschichte der Täufer in Münster verfasste und in neun einleitenden Kapiteln eine detaillierte Beschreibung der Stadt und ihrer Bewohner ablieferte. Das Original dieser Chronik, das 2009 bei einer Auktion erworben werden konnte, ist ebenfalls in der Ausstellung zu sehen.

Die Ausstellung Münster 1570 punktet vor allem mit seltenen originalen Artefakten: Diese Zeichnung des Hauses der Witwe Winter stammt vermutlich von dem münsterschen Maler Hermann tom Ring. Sie ist anlässlich eines Rechtsstreites gefertigt worden und überliefert uns heute ein authentisches Bild eines Bürgerhauses in Münster. (Foto: Cantauw)

Vom Leben in den etwa 2.200 Häusern der Stadt kündet auch die Zeichnung des Wohnhauses der Witwe Winter, die wohl im Zuge eines Rechtsstreites gefertigt wurde und nun unsere Kenntnisse vom Wohnen im 16. Jahrhundert bereichert. Dass ein Gutteil der Einwohner Münsters nicht so opulent wohnte, wird nicht verschwiegen: Etwa 30 Prozent der Münsteraner:innen lebten von der Hand in den Mund. Wie sie wohnten, was sie aßen, wie sie sich kleideten und vieles mehr ist nicht überliefert – es sei denn, sie waren Bewohner:innen eines der 15 Armenhäuser der Stadt. Dann lagen Abrechnungen vor, die von ihrem Leben künden.

Viele Tätigkeitsbereiche, die 1570 in Münster selbstverständlich waren, sind heute nicht mehr bekannt: Was die Aufgabe eines Herinckbesehers war, verbirgt sich unter der Klapptafel. (Foto: Cantauw)

Die Ausstellung erzählt, wie das Leben in Münster organisiert war und wovon man in Münster leben konnte: Da gab es „Dreckfarer“, „Herinckbeseher“ und viele weitere Tätigkeiten, die ausführlich erläutert werden. Auch die Zusammensetzung des Stadtrats und seine Zuständigkeiten werden dargestellt. 

Der Ausstellungsraum erlaubt es, immer wieder zur Vergrößerung des Kupferstichs zurückzukehren, die sich gleich am Eingang befindet. Das sollte man auch tun, lassen sich viele der in den einzelnen Ausstellungseinheiten geschilderten Gegebenheiten dort doch wiederfinden. Auf diese Weise funktioniert die Schau wie eine „Schule des Sehens“, in der das Publikum immer wieder aufgefordert ist, sich auf die Suche nach Einzelheiten zu begeben. Das geht natürlich nur, weil Hogenberg seinen Kupferstich seinerzeit nach einer Vorlage eines Einheimischen gefertigt hatte. Anders als ältere Stadtansichten entsprach der Stich also den wirklichen Gegebenheiten und konnte mit zahlreichen Details aufwarten, die sich der Ortskenntnis des Malers Hermann tom Ring verdanken. Er war es übrigens auch, der das Häuschen der Witwe Winter gezeichnet hat.

Impression aus der Ausstellung, Detail aus dem Kupferstich von Hogenberg.

Die Ausstellung lebt von den vielen kleinen Entdeckungen und Details. Das sind auch vermeintliche (oder tatsächliche) Nebensächlichkeiten, die die lang zurückliegende Zeit anschaulich und spannend machen: Der/die Ausstellungsbesucher:in erfährt, wer oder was „Bogen-Jungfrauen“ waren, warum die Wassermühlen im Sommer stillstanden und was mit den neugeborenen Söhnen der Metzger an Karneval geschah. Auch, dass die Schullehrer wenig angesehen waren und dass der Scharfrichter ein grünes Gewand trug, wird vor dem Besuch der Ausstellung kaum bekannt gewesen sein. Eines aber ist anscheinend gleichgeblieben: Am Mittwoch und am Samstag ist Wochenmarkt, vor 450 Jahren ebenso wie heute! 

Die Ausstellung ist noch bis zum 25. September im Stadtmuseum Münster, Salzstraße 28, zu sehen. Der Eintritt ist frei.

Weitere Informationen unter: www.stadt-muenster.de/museum

Impression aus der Ausstellung, Ausschnitt aus dem Kupferstich von Hogenberg.