Schwerpunkt Fotografie: Ralf Emmerich – FOTOGRAFIEN 1977–2023. Eine Werkausstellung

22.03.2024 Marcel Brüntrup

„Sag ich das Wort Stille - vernichte ich sie“ (Gedichtzeilen aus „Die drei seltsamsten Worte“ von W. Szymborska). (Foto: Cantauw)

Christiane Cantauw

Kann man Stille sehen? In einer aktuellen Ausstellung im Stadtmuseum Münster mit Fotografien von Ralf Emmerich ist diese Frage im Wortsinn zentral, steht eine Serie zum Thema Stille doch im Mittelpunkt der Schau, die einen Einblick in das Œuvre des Fotografen bietet. Emmerich nähert sich der Frage nicht nur auf fotografischem Wege, sondern auch in Textform, indem er zentrale Fragen der Fototheorie nach der Phänomenologie von Fotografien aufgreift. In Anlehnung an Roland Barthes, den er aber nicht explizit nennt, fragt Emmerich nach dem Nachhall von Fotografien, deren Eigenart es ist, das zu zeigen, was im Moment der Aufnahme bereits unwiederbringlich vergangen ist.

Kann es einem Medium wie der Fotografie gelingen, das Unsagbare zu zeigen? Im Zentrum der Ausstellung ist das Museumspublikum eingeladen, Ausschnitt- und Schattenhaftes solange in sich nachhallen zu lassen, bis Stille eintritt. Das funktioniert und liefert sogar Zugänge zu den Fotografien, die sich an der Peripherie der Ausstellung befinden: Portraits von Menschen aus vielen Ländern, Bilder von Horizonten in der Bretagne oder auf Rügen.

Die Nahaufnahmen von vielen Menschen, denen Emmerich auf seinen Reisen begegnet(e), zeigen jedenfalls ein Sich-aufeinander-einlassen, das im Interesse füreinander gründet. Vor und hinter der Kamera wird hier menschliche Nähe gesucht und Stille zugelassen. Begründet liegt dies zum einen in einem tiefgehenden Interesse des Fotografen für die Menschen, die er überall auf der Welt traf, zum anderen auch in einem geduldigen Beziehungsaufbau, der einen Gegensatz zur Schnelligkeit seines Mediums bildet.

Großformatige Farbfotografien von Ralf Emmerich zeigen Horizonte auf Rügen und in der Bretagne. (Foto: Cantauw)

Die Verbindung zwischen den zwei Menschen, von denen der eine vor und der andere hinter einer Kamera steht, beruht dabei nicht notwendigerweise auf Sprache. Wesentlicher ist, dass sich beide Seiten aufeinander einlassen. Das zeigt die Serie „Das amerikanische Mädchen“, dem Emmerich 1979 auf einer Schiffspassage nach Kreta begegnete. Das etwa fünfjährige Kind nähert sich dem Fotografen spielerisch und auf Augenhöhe, es lässt sich fotografieren und macht seinerseits Fotos von ihm. Die Fotografien werden so zu Gabe und Gegengabe, zu einem Tauschobjekt des Moments, der letztlich aber über diesen hinausweist.   

2020 hat das Stadtmuseum Münster zahlreiche digitale und analoge Fotografien des 1956 in Münster geborenen Fotografen Ralf Emmerich erworben. In einer Ausstellung mit etwa 100 Fotografien können sich die Besucher:innen nun einen ersten Eindruck von diesem Sammlungsbestand verschaffen, der durch ein etwa 20-minütiges Interview mit dem Berufsfotografen komplettiert wird. Die Schau versammelt schwarz-weiße und farbige Fotografien. Und auch die Münster-Fans kommen hier auf ihre Kosten: Gleich eingangs sind etwa 25 Schwarzweißfotografien des münsterschen Wochenmarktes zu sehen, der für Münster ikonisch ist und ein beliebtes Fotomotiv (nicht nur) von Emmerich darstellt.

Ralf Emmerich – FOTOGRAFIEN 1977–2023 ist noch bis zum 1. September 2024 im Stadtmuseum Münster zu sehen. Der Eintritt ist frei.