Spuren der Vertreibung. Das Barackenlager Lette

05.03.2021 Dorothee Jahnke

Blick in die Ausstellung „Spuren der Vertreibung“. Foto: Vera Brieske, Verein Barackenlager Lette e.V.

Christiane Cantauw

 

12 Millionen Deutsche kamen infolge des Zweiten Weltkriegs aus den früheren deutschen Reichsgebieten jenseits von Oder und Neiße, aus dem Sudetenland sowie aus den deutschen Siedlungsgebieten in Mittelost-, Ost- und Südosteuropa durch Flucht und Vertreibung nach Deutschland. 11.000 von ihnen kamen über verschiedene Flüchtlingssammellager nach Coesfeld-Lette in ein Anfang der NS-Zeit erbautes, von der SA und vom Reichsarbeitsdienst (RAD) als Ausbildungsstätte genutztes Barackenlager, das zwischen 1945 und 1947 als Auffanglager für Flüchtlinge diente und das heute unter Denkmalschutz steht.

Auf Initiative des 2013 gegründeten Vereins Denkmal Barackenlager Lette e. V. ist die Geschichte dieses Lagers seit August 2019 in zwei Ausstellungsräumen im Heimathaus Lette zu sehen. Der unlängst (2020) erschienene Ausstellungskatalog zu diesem Teil der Ausstellung im Heimathaus trägt den Titel „Spuren der Vertreibung“. Er nimmt die Leserinnen und Leser mit in eine in vieler Hinsicht bemerkenswerte Schau. Gut geschriebene, informative Texte, historische Bildzeugnisse und Schriftquellen, akribisch zusammengetragene Ausstellungsstücke sowie Karten und zusätzliches Informationsmaterial können in dieser Veröffentlichung nachgelesen und eingehend studiert werden.

Das ersetzt nicht den Ausstellungsbesuch, bietet aber gerade in Corona-Zeiten die Möglichkeit, sich mit der wechselvollen Geschichte des Barackenlagers näher zu beschäftigen. Das lohnt sich vor allem auch deshalb, weil die Themen Flucht und Vertreibung, Wegmüssen und Ankommen, Heimat und Fremde nach wie vor – oder mehr denn je – aktuell sind.

Der 100seitige Band wartet auf mit gut recherchierten und aufbereiteten Fakten, eindrucksvollen Fotografien und vielen Informationen, auch über die Nutzung des Barackenlagers für die Zwecke eines totalitären Systems. Er dokumentiert außerdem die von Ingeborg Höting erforschte Geschichte des Barackenlagers und die Herangehensweise der Ausstellungsgestalterinnen Maike Lammers, Rebecca Schmücker und Anna Lammers, die sich der Herausforderung stellten, die vom Verein Barackenlager Lette e.V. recherchierten und dokumentierten Fakten „in einer Nussschale“ (S.27) zu zeigen, und die auf einer Fläche von nur 34 Quadratmetern eine Ausstellung aufgebaut haben, die bemerkenswerte Einblicke in ein teils verdrängtes Thema gewährt.

Blick in die Ausstellung „Spuren der Vertreibung“. Foto: Vera Brieske, Verein Barackenlager Lette e.V.

Sie präsentieren auf Schiebewänden aus Akrylglas die übergeordneten Kontexte und machen so die Mehrschichtigkeit des Themas, die Verflechtung von individuellem Leid und historisch-politischen Entscheidungen greifbar. Auf unterschiedlichen Ebenen ist für die Besucher und Besucherinnen eine Vielzahl an Informationen abrufbar, ohne dass die alles in allem doch recht kleine Ausstellungsfläche überfrachtet wirkt. Einen Beitrag dazu leistet nicht zuletzt eine Videostation, über die Zeitzeugeninterviews abgerufen werden können, die 2014/15 mit Unterstützung durch die Volkskundliche Kommission für Westfalen (heute: Kommission Alltagskulturforschung für Westfalen) erstellt wurden.

Der Verein Barackenlager Lette e. V. hat mit seiner Ausstellung und dem Katalog „Spuren der Vertreibung“ eindrücklich unter Beweis gestellt, was ehrenamtliches Engagement zu leisten vermag. Ausstellung und Katalog seien hiermit allen Leser und Leserinnen dieses Blog wärmstens empfohlen.

 

Literatur:

Spuren der Vertreibung. Das Barackenlager Lette, Dauerausstellung im Heimathaus Coesfeld-Lette, Ausstellungskatalog, hrsg. vom Denkmal Barackenlager Lette e.V., Coesfeld 2020, ISNB 978-3-9813028-9-9