Der Tigerclub Mennighüffen sorgte für Aufregung. In den 60er Jahren rebellierte die Jugend nicht nur nackt mit Blumenkränzen im Haar, sondern manchmal auch pöbelnd auf Volksfesten

22.11.2022 Niklas Regenbrecht

Der Tigerclub sorgte für manche Schlagzeile in den Zeitungen. Foto: Ernst Abraham.

Sarah Brünger

Mit frisierten Mopeds knattern sie durch die Ortschaften. Betrunken, gewaltbereit und lärmend, auf dem Weg zu einem „Einsatz“, einer Schlägerei auf dem nächsten Volksfest. Über der Schulter hängt als einschüchternde Waffe eine eiserne Kuhkette. Ihre Jacken sind mit Nieten beschlagen und mit dem Spruch „Unser Glaube ist Terror – unser Gebet ist Hass“ beschriftet. Daneben prangt das Kürzel „TCM“. Es sind die Mitglieder des Tigerclubs Mennighüffen.

So sieht das Bild des Mopedclubs aus, das in einigen der im Kommunalarchiv Herford lagernden Unterlagen gezeichnet wird. Darauf angesprochen lacht Ernst Abraham, Friseurmeister aus Löhne-Mennighüffen und ehemaliger „Chef“ des Tigerclubs, den er etwa 1964 mitgegründet hatte. „Das war schon eine aufregende Zeit.“, sagt er, aber die Darstellung sei überzogen. „Wir Clubmitglieder waren normale Jungens.“.  Man habe mit Kleidung und Auftreten provoziert und sicherlich einigen groben Unsinn gemacht, aber im Grunde sei es nur darum gegangen, sich mit Gleichgesinnten zu treffen. Der TCM sei keine kriminelle Rockerbande gewesen.

Im Sommer 1968 dokumentierte die Kreisverwaltung Herford allerdings ein handfestes Problem mit randalierenden Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Immer wieder im Fokus stand dabei der Tigerclub Mennighüffen. Die Stimmung hatte sich hochgeschaukelt, weil die Presse in den Augen der Jugendlichen falsch und einseitig negativ berichtete, wie Ernst Abraham erklärt.

Ebenso wird aus den Aktenvermerken und Zeitungsartikeln klar: Die Jugendlichen fühlten sich von Eltern, Behörden und der Presse unverstanden. Ihre Provokationen waren auch Aufbegehren gegen die starren gesellschaftlichen Konventionen der provinziellen Dorfgemeinschaften, denen sie vielfach ohnmächtig gegenüberstanden.

Trotzdem gerieten Moped- bzw. Kleinkraftradfahrer in der angeheizten Lage unter Generalverdacht. Rund 100 Kennzeichen abgestellter Fahrzeuge erfasste die Polizei im Sommer 1968 prophylaktisch bei Volksfesten. Sie protokollierte, ob Störungen vorgefallen waren und übersandte die Liste an benachbarte Polizeibehörden, um bei strafbaren Handlungen schneller die Täter überführen zu können. Die Polizei identifizierte zwar einige der wenigen wirklich Kriminellen, die im Folgenden strafrechtlich belangt wurden, verbuchte aber weiterhin Vorfälle erschreckend rücksichtslosen Verhaltens. 

Ernst Abraham bestätigt, dass es im Umfeld des TCM kriminelle Einzelpersonen gab. Dies seien jedoch insbesondere junge Erwachsene gewesen, die von Außerhalb kamen, sich bei Unternehmungen gelegentlich den Clubmitgliedern lose anschlossen, Ärger provozierten und die Jugendlichen so in Verruf brachten.

Die Lage war angespannt. An die Bezirksregierung meldete der Oberkreisdirektor „Die Kreispolizeibehörde Herford-Land ist […] nicht in vollem Umfang in der Lage, das Unwesen der Rocker zu bekämpfen.“. Das Schreiben ist in einer Sonderakte zu Vorfällen des Jahres 1968 enthalten.

Die Behörde ließ sich auf ein ungewöhnliches Vorgehen ein: Auf Initiative des Tigerclubs wurde am 14.9.1968 um 19:30 Uhr eine Aussprache mit den leitenden Polizeibeamten des Kreises im Haus der Jugend in Herford initiiert, an der über 150 Jugendliche teilnahmen.

Die Bilanz war gemischt. Der als einer der Sprecher des Tigerclubs auftretende Johannes D., Spitzname „Affe“, sagte im Nachgang in einem Presseinterview „Wir hatten uns davon etwas erhofft, aber vergebens. Die Polizei warf mit Fremdwörtern um sich, hat aber keine vernünftigen Vorschläge gemacht.“. Trotzdem war ein gewisses Einlenken zu erkennen. „Wir fuhren gemeinsam aus und gründeten den Tigerclub mit dem einzigen Ziel, oft zusammen zu sein und gemeinsam die Wochenenden zu verbringen. Wir wollten und wollen keinen Blödsinn machen“, gab ein Junge mit Spitznamen „Fiffi“ im Interview an.

Die Polizei auf der anderen Seite hob den friedlichen Verlauf der Veranstaltung heraus. Sie beschloss, weitere Möglichkeiten zum Austausch zu bieten. Damit scheint der Höhepunkt der Auseinandersetzung überwunden gewesen zu sein. Die bei der Kreisverwaltung geführte Sonderakte zu Vorfällen mit Rockerbanden und Mopedclubs endet an dieser Stelle. Ernst Abraham hat eine pragmatische Erklärung: Für viele TCM Mitglieder war 1968, vier Jahre nach Gründung des Clubs, die wilde Jugendzeit vorbei. Sie begannen ein ganz normales Leben mit Beruf und Familie.

 

Zuerst erschienen in: HF-Magazin. Heimatkundliche Beiträge aus dem Kreis Herford, Nr. 122, 14.09.2022, herausgegeben von der Neuen Westfälischen.

Link: https://www.kreisheimatverein.de/wissen/hf-magazin/

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