Niklas Regenbrecht
Erst kürzlich erregten öffentliche Erwägungen das Einfamilienhaus zu verbieten den politischen Diskurs. Ist die Ausweisung von immer weiteren Flächen zur Bebauung mit Einfamilienhäusern, in denen ja nur wenige Personen wohnen werden, angesichts von Zersiedelung, Verkehrsbelastung und Versiegelung noch zukunftsfähig? Themen wie Ressourcenschonung und Flächenverbrauch stehen gesellschaftlich und politisch bereits seit Längerem zur Debatte. Warum also nicht einfach nutzen, was bereits da ist? Der Frage, wie das konkret im Einzelfall funktionieren kann, widmet sich aus wissenschaftlicher Perspektive der neueste Band der Reihe Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland, die von der Kommission Alltagskulturforschung für Westfalen herausgegeben wird. Warum und wie erwerben Haushalte ein gebrauchtes Einfamilienhaus? Welche Abwägungsprozesse, Wünsche und Ausgangslagen führen zur Entscheidung für eine Immobilie aus dem Bestand? Welche Unterschiede gibt es dabei zwischen Stadt und Land? Fragen wie diese stehen im Mittelpunkt der Publikation von Kathrin Schulte „Gebrauchte Einfamilienhäuser als Wohnform. Eine ethnografische Untersuchung im Bestand“.
Die Untersuchung stützt sich auf Interviews mit Angehörigen von Haushalten, die eine Bestandsimmobilie aus den 1950er bis 1980er Jahren gekauft hatten. Suburbane Einfamilienhausgebiete jener Jahrzehnte werden ob ihrer bundesweiten Verbreitung einleitend als „landschaftsprägende Siedlungsform“ hervorgehoben. Anders als bei bereits vorliegenden quantifizierenden Studien, stehen die Darstellung und Analyse der persönlichen Motive und Vorstellungen der Hauseigentümer:innen im Zentrum des Interesses. Die Interviews wurden in einer Großstadt, einer Kleinstadt und in einem Dorf durchgeführt, die Auswertung differenziert dementsprechend.
Die Entscheidung für den Kauf eines gebrauchten Einfamilienhauses ist immer auch eine Entscheidung gegen einen Neubau. Angesichts von alternden Einfamilienhausgebieten in vielen Städten, die sich städtebaulich als problematisch erweisen, ist es relevant, hier genauer hinzusehen und zu fragen, welche Kriterien bei der Entscheidung gegen einen Neubau eine Rolle spielen. Auch die Kategorisierung von Einfamilienhäusern als Ressource verlangt einen sorgsameren Umgang mit gebrauchten Häusern. Die Abwägung zwischen Neubau und Gebrauchtimmobilie wird von allen Befragten getroffen. Welche Argumente hierbei ins Feld geführt werden und welche Vorüberlegungen für die Befragten relevant waren, ist kulturhistorisch, aber auch im politischen Kontext wichtig und wird in der Untersuchung entsprechend eingeordnet. An der Entscheidung für ein konkretes Wohnobjekt hängt auch eine Wohnstandort- und Zukunftsentscheidung für die Familien. In den Interviewaussagen, die ausgiebig zitiert werden, geht es deshalb auch um Familienmodelle, Geschlechterrollen und intergenerationelle Beziehungen.
In der Studie wird die Bedeutung von Einfamilienhäusern als Altersvorsorge ebenso analysiert, wie die konkreten Erfahrungen der Befragten in den Bereichen Umbau und Umgestaltung. Ebenfalls wird Augenmerk auf das „Leben und Wohnen im gebrauchten Einfamilienhaus“ gelegt sowie abschließend auf die damit verbundenen erfüllten oder enttäuschten Erwartungen der Befragten.
Der Band wird beschlossen von pointiert formulierten Ergebnissen, die in Form von zehn Kernthesen – hier treffend als „Bausteine“ bezeichnet – die Untersuchungsergebnisse zusammenfassen. Die Bedeutung der Studie, gerade etwa auch für alle, die mit kommunalpolitischer, städtebaulicher oder archetektonischer Planung beschäftigt sind, wird hier noch einmal besonders fasslich: Gebrauchte Einfamilienhausgebiete stellen Ressourcen dar, die nutzbar gemacht werden können, wenn man die Motive und Vorstellungen, die Sozialstruktur und die Grenzen und Möglichkeiten potentieller Eigentümer:innen und Bewohner:innen kennt. Diese Aspekte finden sich in der Studie analysiert und auf den Punkt gebracht.
Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Abbildungen. Da die Auswertung der Interviews anonymisiert erfolgte, wurde darauf verzichtet, im Rahmen der Interviews angefertigte Fotografien der Häuser der Befragten abzudrucken. An diese Stelle treten im Band Illustrationen der Grafikerin Leonie Sauerland. Bei diesen Zeichnungen handelt es sich nicht um Kopien der Fotografien, sondern um zeichnerische Zusammenfassungen, man könnte auch sagen Kondensate von wiederkehrenden Motiven aus den Interviews. Damit gelingt es, den Band auch optisch ansprechend zu gestalten.
Bibliographische Angaben:
Kathrin Schulte: Gebrauchte Einfamilienhäuser als Wohnform. Eine ethnografische Untersuchung im Bestand, Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland Bd. 132, Münster 2021 (Waxmann-Verlag), 190 S., ISBN 978-3-8309-4394-5.