Von wilden Pferden zu edlen Equiden? Pferdezucht in der Grafschaft Tecklenburg

19.08.2025 Aleksandra Stojanoska

Wildpferde in Dülmen, Foto: Alfred Koch, Archiv für Alltagskultur in Westfalen, 0000.S3719.

Sebastian Schröder

Die wilden Pferde im Merfelder Bruch bei Dülmen gelten als die letzten urtümlichen Pferde in ganz Europa. Ursprünglich lebten weitaus mehr wilde Einhufer auf dem europäischen Kontinent – auch in der Grafschaft Tecklenburg. So konnte Christof Spannhoff nachweisen, dass in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts im Kattenvenner Moor zwischen Lienen, Kattenvenne und Ladbergen eine Pferdeherde frei umherlief (https://www.alltagskultur.lwl.org/de/blog/wilde-pferde-im-kattenvenner-moor/). Beim Kattenvenner Moor handelte es sich um gemeinsamen Markenbesitz der genannten Ortschaften. Marken oder Gemeinheiten waren gemeinschaftlich bewirtschaftete Flächen, die vornehmlich intensiv genutzt wurden. Unter anderem durfte eine gewisse Anzahl Pferde im Kattenvenner Moor nachweislich seit dem 14. Jahrhundert frei umherlaufen und dort Nahrung suchen. Seinerzeit hatte Graf Nikolaus ausdrücklich gestattet, zwölf Mutterpferde mit ihren Fohlen in diesem Bezirk weiden zu lassen; bei ihren Nachkommen wird es sich um die „wilden Pferde“ gehandelt haben. Ganz so „wild“, wie diese Bezeichnung vermuten lässt, waren die Einhufer dann aber doch nicht; mitnichten können die Markengründe als urtümliche Natur bezeichnet werden. Vielmehr waren auch sie Teil einer von Menschen geprägten Kulturlandschaft. Denn tatsächlich gehörten die Tiere einigen Bauern in der Umgebung, für die sich die freie Haltungsform als lohnenswert erwies. Weil die Pferde ihr Futter in freier Wildbahn selbst suchten, brauchten die Landwirte dafür nicht zu sorgen. Außerdem waren keine Stallungen erforderlich. Ferner sprach man den Wildpferden eine große Robustheit zu.

Heute leben im Kattenvenner Moor keine wilden Pferde mehr. Das hat mehrere Gründe. Einerseits wurden die gemeinen Markenländereien ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts privatisiert. Im Zusammenhang mit der sogenannten Aufklärung geriet die jahrhundertelang üblich gewesene Bewirtschaftung der Gemeinheiten in die Kritik. Einflussreiche theoretische Vordenker meinten, die Marken würden den landwirtschaftlichen Fortschritt behindern. Anstatt das Vieh in den Gemeinheiten weiden zu lassen, sollten die Bauern auf Stallhaltung umsteigen. Die Kulturlandschaft änderte sich dadurch drastisch – unter anderem auch mit Auswirkungen auf die wild lebenden Pferde im Kattenvenner Moor. Denn durch die Aufteilung dieses Gemeinheitsbezirks verloren diese Huftiere ihre mehr oder minder natürliche Lebensgrundlage.

Wildpferde in Dülmen, Foto: Hans Wagner, Archiv für Alltagskultur in Westfalen, 2014.00561.

Andererseits gibt es noch einen weiteren Grund, weshalb heutzutage im Kattenvenner Moor keine frei umherlaufenden Pferde mehr zu sehen sind: Ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts intensivierte der preußische Monarch seine Bemühungen, in allen seinen Landesteilen ausschließlich gekörte Hengste zur Zucht einzusetzen. So hatte der Preußenherrscher 1748 bestimmt, entsprechende Zuchttiere anzuschaffen. Dadurch sollten gesündere und stärkere Pferde gezüchtet werden – und natürlich war der Monarch ebenso darauf bedacht, geeignete Tiere für das Militär zu erhalten. Vor Ort herrschte aber Skepsis, wie ein Blick in das Bereisungsprotokoll des preußischen Kriegs- und Domänenrats Ernst Albrecht Friedrich Culemann aus dem Jahr 1750 beweist. Der in Minden bei der Kriegs- und Domänenkammer ansässige Beamte musste regelmäßig in seinen Verwaltungssprengel reisen, um dort nach dem Rechten zu sehen. Über seine Beobachtungen in der Grafschaft Tecklenburg notierte er Folgendes: Die Eingesessenen der Vogtei Leeden hätten zwar einen Hengst kören lassen, doch dieser sei verstorben. Überhaupt bezweifelten die Bauern, dass sich die Anstrengungen lohnten. Denn es fehle an Hude- und Weidegründen, um die gezüchteten Fohlen ernähren zu können – eine Ausdehnung der Zucht sei folglich unmöglich. Die Bewohner zu Ledde stimmten dieser Aussage unumwunden zu. Mehr noch, sie betonten, „daß die neue Einrichtung ihnen höchst schädlich sey“. Die Lotter und Wersener erklärten, dass ihre Stuten nicht zur Zucht geeignet seien. Wörtlich ließen sie verlauten: „[I]hre Pferde wären darnach nicht beschaffen, daß sie gute Pferde ziehen könten, diese müsten Hunger leiden, und dabey könne man keine Füllen […] ziehen.“ Weiter heißt es, dass die eher kleingewachsenen Stuten von einem großen Körhengst nicht gedeckt werden könnten. Demzufolge sei es zweckmäßiger, keine gekörten Hengste zu kaufen. Sie würden dafür außerdem auch über keine finanziellen Mittel verfügen. Etwa besitze der Landwirt Lubbing zu Halen in der Vogtei Wersen „einen guten Hengst“ – freilich war dieser nicht gekört worden. Der Landesherr möge folglich alles „bey dem alten“ belassen: Jeder Pferdebesitzer solle sich selbst aussuchen dürfen, von welchem Hengst er seine Stuten decken ließ.

Culemann fasste seine Befragungen zusammen: „Es scheint also, daß diese Sachen allhier nicht zum Stande kommen wollen, als es in der Grafschafft Lingen zu Stande gebracht ist. Ich habe auch gefunden, daß die mehresten Stuten zu schwach sind, um von großen Chörhengsten beleget zu werden.“ Er schlug seinen Vorgesetzten bei der Kriegs- und Domänenkammer jedoch einen möglichen Ausweg vor, um den Neuerungen doch noch zum Erfolg zu verhelfen: „Mein unmaßgeblicher Vorschlag wäre also, um doch einigermaßen die Pferde-Zucht zu verbeßern, und denen Unterthanen davon einen Geschmack beyzubringen, daß aus Mittel der Landes-Casse zwey gute Spring-Hengste anzuschaffen, und denen Unterthanen, welche zum Theil Liebhaber von guten Pferden sind, die Freyheit gelaßen werde, ob sie ihre Mutter-Pferde von solchen belegen laßen wolten oder nicht. Die Hengste könten vernünftigen Bauren anvertrauet werden, die das halbe Spring-Geld für die Fütterung zu genießen hätten, die andere Helfte aber würde zu Bezahlung des geschehenen Vorschußes employiret.“ Der preußische Beamte setzte dementsprechend auf einen allmählichen Wandel; Zwangsmaßnahmen lehnte er ab – diese erwiesen sich als kaum erfolgsversprechend, denn die Eingesessenen der Grafschaft Tecklenburg führten zahlreiche Gründe an, die gegen die landesherrlichen Dekrete zur Pferdezucht sprachen. Wirtschaftliche Neuerungen würden sich am ehesten durchsetzen, wenn ein unmittelbarer Nutzen in der Praxis zu erkennen sei – so jedenfalls lautete das Credo Culemanns. Tatsächlich sollten der Pferdebestand und die Anzahl der gekörten Hengste in den folgenden Jahrzehnten stetig zunehmen, wie die detailliert geführten Tabellen der landesherrlichen Verwaltung belegen. Inwiefern tatsächlich der Einfluss Culemanns ursächlich für diesen Wandel war, kann nicht abschließend beurteilt werden. Womöglich erkannten auch die Landwirte selbst die Vorteile größerer und stärkerer Zugtiere und orientierten sich am Vorbild anderer Regionen. Diese Entwicklung bedeutete auf der einen Seite einen entscheidenden Wandel landwirtschaftlicher Wirtschaftsformen, auf der anderen Seite bedingte sie ebenso das Ende der wilden Pferde im Kattenvenner Moor. Insofern handelt es sich bei den Bemühungen, die Pferdezucht zu fördern, um ein wichtiges Thema einer Umweltgeschichte der Grafschaft Tecklenburg im 18. Jahrhundert.

Quelle: Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Westfalen, D 803/Kriegs- und Domänenkammer Minden, Verwaltung der Grafschaften Tecklenburg und Lingen, Nr. 4: Bereisungsprotokoll der Grafschaft Tecklenburg, 1750.