Eine „rechte Ordnung“ einführen: Das preußische „Mühlen-Reglement“ von 1741 für die Grafschaften Ravensberg, Tecklenburg und Lingen sowie für das Fürstentum Minden

19.09.2025 Niklas Regenbrecht

Erste Seite des „Königlich-Preußische[n] Mühlen-REGLEMENT[s] für das Fürstenthum Minden, auch die Grafschaften Ravensberg, Tecklenburg und Lingen“ vom 10. Januar 1741, LAV NRW W, D 607/Kriegs- und Domänenkammer Minden, Nr. 2102, fol. 1r.

Sebastian Schröder

Geradezu das gesamte 18. Jahrhundert hindurch war das Mühlenwesen ein wichtiges Feld landesherrlichen Ordnungsdenkens. Ausdruck dessen ist unter anderem der Erlass eines „Mühlen-Reglements“ für die preußischen Provinzen Ravensberg, Tecklenburg, Lingen und Minden, das am 10. Januar 1741 veröffentlicht wurde. Die darin genannten Inhalte und Verordnungen erwiesen sich freilich nicht unbedingt als gänzlich neu. Vielmehr ist das Edikt derart zu verstehen, dass es ältere Regelungen bündelte oder abermals in Erinnerung rief. Schließlich hatten die landesherrlichen Beamten beobachtet, wie es in der Präambel der Publikation heißt, dass „mit dem Mühlen-Wesen […] keine rechte Ordnung gehalten“ werde. Das hänge einerseits damit zusammen, dass „die Mühlen unverständigen und untüchtigen Müllern eingethan und verpachtet“ seien. Diese würden zum Beispiel zu hohe Gebühren kassieren oder Reparaturen verschleppen. Andererseits beschwerten sich die landesherrlichen Räte ebenso über die Untertanen, die die bestehenden Gesetze in Mühlenangelegenheiten nicht beachteten. Deshalb habe man das nunmehr vorliegende „Reglement“ erstellen, veröffentlichen und in allen Mahlanlagen aushängen lassen.

Aus dem 16 Paragrafen umfassenden Edikt, das vornehmlich an die Müller und Eingesessenen, weniger an Amtsleute oder landesherrliche Bedienstete gerichtet war, können einige ganz wesentliche Merkmale des Mühlenwesens in den genannten vier preußischen Westprovinzen abgeleitet werden. Zunächst sticht hervor, dass die Territorien in Zwangsmahlbezirke eingeteilt waren. Dass diese Regel nicht alle Untertanen betraf, geht aus der Verordnung indes nicht hervor; ausgenommen waren nämlich Eigenbehörige des Adels oder des Klerus. Alle anderen Menschen besaßen keine Wahlfreiheit, zu welcher Mahlanlage sie ihr Getreide brachten. Ganz im Gegenteil vermerkte gleich der erste Absatz des „Mühlen-Reglements“ von 1741: „Daß sich ein jeder zu derjenigen Mühle, auf welche er verwiesen ist, halten, und daselbst sein Getreyde mahlen, keinesweges aber auf fremde Mühlen solches muthwilliger Weise verschleppen […]“ dürfe. Wer gegen diese Bestimmung zuwider handele, werde mit der Zahlung von einem Reichstaler bestraft.

Im Alltag brachten die Mahlbezirke natürlich gewisse Probleme mit sich. Bei „Wasser- oder Windmangel“ konnten die Mahlpflichtigen nämlich nicht einfach zu einer anderen Mühle wechseln. Vielmehr hatten sie eine Wartezeit von bis zu drei Tagen in Kauf zu nehmen. Erst danach war es ihnen gestattet, beim Müller einen „Paßir-Zettul“ zu beantragen, der es erlaubte, das Getreide zu einer anderen Mahlanlage zu befördern. Zusätzlich sollten weder „Gunst, Geschencke, oder Trinckgeld“ die Reihenfolge des zu mahlenden Getreides bestimmen, sondern lediglich der Zeitpunkt, an dem ein „Mahlgast“ mit seinem Korn die Mühle erreicht hatte. Um diesbezügliche Streitigkeiten zu verhindern, waren die Müller angehalten, Tafeln anzubringen, auf denen die Namen der mahlpflichtigen Personen in der Reihenfolge ihres Eintreffens an der Mühle verzeichnet wurden. Lediglich in den Städten, wo ohnehin nochmals andere Vorschriften galten, hatten die Bäcker Vorrang. Für besonders dringende Fälle müsse außerdem in jeder Mühle eine mit Mehl gefüllte Vorratskiste vorhanden sein, um etwaige Wartezeiten durch Tausch überbrücken zu können. Normalerweise erhielt jeder Mahlpflichtige das Mehl von seinem eigenen Getreide; dieses gewohnheitsrechtliche Herkommen wurde mit der Pflicht der Müller zur Vorratshaltung außer Kraft gesetzt.

Des Weiteren verpflichtete das „Reglement“ die Müller, ihr Handwerk ordnungsgemäß zu versehen. Wörtlich ist die Rede von „tüchtigen und erfahrnen Müllern“. Diese zeichne beispielsweise aus, das gehende Werk der Mahlanlage selbstständig warten und kleinere Reparaturen durchführen zu können. Außerdem würden sie auf Sauberkeit in ihren Mühlen achten – dazu zählte explizit auch, Wassermühlen nicht gleichzeitig als Schweineställe zu nutzen. Ferner wurden die Müller angehalten, ausnahmslos geeichte, am Berliner Scheffel orientierte Maßeinheiten zu verwenden. Für ihre Tätigkeit erhielten die Müller ein sogenanntes Mahlgeld als Gebühr oder einen gewissen Teil des Mehls als Entlohnung in natura; die Zeitgenossen sprachen von „Metzen“. Sowohl die Höhe des Mahlgeldes als auch der Anteil der Metzen am Gewicht des Gemahls war genau festgelegt und durfte nicht eigenmächtig durch die Müller verändert werden– besonders dieser Aspekt sorgte im Alltag immer wieder für Auseinandersetzungen mit den örtlichen Eingesessenen.

Mit dem 1741 veröffentlichten „Mühlen-Reglement“ lag erstmals ein für alle vier zum Sprengel der Mindener Kriegs- und Domänenkammer gehörigen Territorien einheitliches Gesetz zur Regelung des landesherrlichen Mühlenwesens vor. Obschon das Edikt mitunter sehr detaillierte Vorschriften enthielt, blieb es an anderen Stellen erstaunlich vage. Und dass in der Praxis häufig ganz andere Zustände zu beobachten waren, dürfte ohnehin nicht verwundern – Norm und Wirklichkeit wichen nicht selten voneinander ab.

 

Quelle: Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Westfalen, D 607/Kriegs- und Domänenkammer Minden, Nr. 2102: Mühlenreglement für das Fürstentum Minden (auch die Grafschaft Ravensberg, Tecklenburg und Lingen) vom 10. Januar 1741 (Druck), 1741.

Die bisherigen Teile der Serie zur Kriegs- und Domänenkammer Minden:

Ein Dickicht voller Alltagskultur: Die preußischen Kriegs- und Domänenkammern in Westfalen im 18. Jahrhundert

Die Preußen wollen umsatteln: Zugochsen statt Pferde lautete die Devise

Erfindergeist in Minden und Ravensberg

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